Die Auserwählten
Smalltalk mit Hans.
»Was er gesagt hat? Der, mit dem ich zusammengestoßen bin?«
»Allan …« Sie warf einen Blick in ihre Unterlagen. War effektiv und tüchtig. Wollte auf der Karriereleiter noch ein Stück weiter nach oben und nicht riskieren, auch noch in zwanzig Jahren hier auf Fünen Leute vor der Kneipe pusten zu lassen, wenn sie von der Weihnachtsfeier nach draußen taumelten. »Dass Sie gegen halb zwei in die Praxis eingebrochen sind, ihn niedergeschlagen haben und dann abgehauen sind. Mit dem hier.« Sie zeigte auf den Tisch, wo das Morphin, ein paar Plastikspritzen und die anderen Pillen lagen, die Niels hatte mitgehen lassen. Das alles sprach eine deutliche Sprache: Sie hatten einen Drogenabhängigen vor sich sitzen. Niels hatte nicht vor, sie etwas anderes glauben zu lassen. Die Wirklichkeit war zu kompliziert – wie fast immer.
Schweigen. Hans stand auf.
»Ich rufe mal Sommersted an.«
Er verschwand ins Büro nebenan, kam aber gleich darauf wieder zurück.
»Ihr Chef würde gern mit Ihnen reden.« Der Polizist machte eine Kopfbewegung.
Niels spürte es sofort, als er den Hörer in die Hand nahm: Sommersted versuchte mild und verständnisvoll zu sein, was ihm aber nicht ganz gelang. Sein stoßweises Atmen verriet ihn.
»Bentzon?«
»Ja.« Niels ärgerte sich darüber, wie schwach seine Stimme klang.
»Was ist da bei Ihnen los?«
»Ich weiß schon, ich weiß.«
»Was wissen Sie?«
»Ich weiß, dass ich wegen Einbruchs in eine Arztpraxis verhaftet worden bin.«
»Was soll denn das, Niels!« Der letzte künstliche Versuch, verständnisvoll zu wirken, wurde über Bord geworfen. Zurück blieb ein wutentbrannter Sommersted. »Was, zum Henker, machen Sie auf Fünen?«
Niels schwieg. Plötzlich hatte er das Gefühl, dass es besser war zu schweigen, als ihm mit irgendwelchen unmöglichen Erklärungen zu kommen. Was sollte er sagen?
»Ich warte, Bentzon.« Sommersted redete jetzt etwas leiser.
»Dieser Fall über die Guten, die ermordet werden.«
»Schon wieder diese Sache?« Ein resigniertes, theatralisches Seufzen.
Schweigen. Sommersted holte tief Luft. Niels wappnete sich, und dann kam es:
»Dann stimmt es also, was die sagen.«
»Die?«
»Diese Medikamente, die brauchen Sie für sich. Sie sind nicht gesund, Niels.«
»Doch.«
»Das glaube ich Ihnen nicht.«
Sommersted dachte nach.
»Sie kommen zurück nach Kopenhagen, und zwar auf der Stelle. Ich werde Rishøj bitten, Sie zur Brücke zu fahren. Leon holt Sie da ab.«
»Rishøj?« Niels sah zu Hans hinüber, der seinem Blick nicht auswich. Plötzlich verstand er.
»Genau. Sie fahren jetzt sofort, und wir sehen uns dann im Präsidium um … ach, rufen Sie mich an, kurz bevor Sie dort sind. Aber an einer internen Ermittlung werden wir kaum vorbeikommen.«
Niels hörte nicht zu. In seinem Kopf hallte nur ein Satz wider. Sie kommen zurück nach Kopenhagen .
»Ich komme nicht zurück nach Kopenhagen.«
»Wie bitte?« Sommersted klang drohend.
»Ich komme nicht zurück nach Kopenhagen.«
Niels legte auf. Er blieb einen Augenblick stehen und sah sich um. Die örtliche Polizeiwache. Unsere kleine Farm in der Welt der Polizei. Ein paar Computer, Bilder von Kindern und Enkelkindern an den Wänden. Ein Ausschnitt aus einer Lokalzeitung. Polizei kämpft gegen Fettsucht . Niels wunderte sich, wollte den Artikel aber nicht lesen. Wie sollte das gehen? Hatte man jetzt schon begonnen, Strafzettel an all jene zu verteilen, die ihre wöchentliche Joggingrunde versäumten?
»Wir müssen jetzt fahren.« Rishøj klang fast entschuldigend.
Niels blieb stehen.
»Niels? Ihre Frau wartet bereits draußen im Auto.«
»Sie ist nicht meine Frau.«
Rishøj zog sich den Mantel an.
»Rishøj? Das mag jetzt merkwürdig klingen, aber was wäre, wenn ich Sie bitten würde, mich einfach bis Samstagmorgen einzusperren?«
5.
5.
Fünen
Der Schnee hatte sich in Nordfünen mit dem vom Wind aufgewirbelten Sand gemischt und sich in eine hellbraune Kristallmasse verwandelt.
Auch der Streifenwagen war von einer Mischung aus Schnee und Schmutz überzogen. Hannah saß auf dem Beifahrersitz. Niels wunderte sich; das war ein klarer Bruch des Reglements, aber vielleicht lag das ja daran, dass Rishøj sie nicht als Feinde, sondern eher als Freunde betrachtete. Hannah schwieg, als Niels und Rishøj einstiegen. Niels setzte sich auf die Rückbank. Die hinteren Türen ließen sich von innen nicht öffnen.
Der Schlüssel steckte im Zündschloss, aber Lisa stand noch
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