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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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immer die Stimme gehörte – redete mit ihr wie mit einem Kind.
    »Hören Sie, was ich sage? Verstehen Sie mich?«
    »Ja.«
    »Gut, denn es ist wichtig, dass Sie …«
    »Welcher Tag ist heute?«
    »Donnerstag. Der 24. Dezember. Fröhliche Weihnachten.« Das Gesicht war jetzt klarer zu erkennen, und Hannah konnte ein Lächeln ausmachen. Ein jüngerer Mann mit dunkler Brille.
    »Morgen …«
    »Was?«
    »Wo ist Niels?«
    »Sie fragt nach ihrem Freund. Dem Mann, der auch in den Unfall verwickelt war«, sagte eine Stimme.
    »Wo ist Niels?«
    Erst als der Ständer mit dem Tropf umstürzte, begriff sie, dass es ihr tatsächlich gelungen war, die Beine aus dem Bett zu schwingen. Schmerzen im Kopf. Sie musste irgendwo angestoßen sein. Vermutlich am Boden. Oder war der Ständer auf sie gefallen? Die Tür ging auf. Weiße Kittel eilten herein. Noch mehr anonyme, wohlmeinende Gesichter. Eine Stimme sagte: »Sie steht unter Schock, sie braucht …«
    Hannah hörte den Namen des Beruhigungsmittels nicht, das sie ihr geben wollten, ihr wurde aber bewusst, dass die Stimme Recht hatte. Sie stand unter Schock. Ihr Hirn war ein Wirrwarr nicht zu Ende gedachter Gedanken. Für einen Moment spürte sie jede Arterie, jede Vene in ihrem Körper, und das Blut, das durch ihr Herz gepumpt wurde. Sie hörte sich sagen: »Ich stehe nicht unter Schock.«
    Sie wurde wieder ins Bett gelegt, und es gelang ihr nicht, sich dagegen zu wehren. Eine beruhigende, fast mahnende Stimme: »Sie hatten einen sehr schweren Verkehrsunfall. Sie sind von einem Auto angefahren worden. Mit hoher Geschwindigkeit.«
    »Morgen …«
    »Sie müssen sich ausruhen, Hannah.«
    »Bei Sonnenuntergang … Niels!«
    »Hören Sie, Hannah: Ihr Mann oder ihr Freund hat ebenfalls überlebt. Sie beide müssen sich ausruhen.«
    »Welcher Tag ist heute?«
    Erneut meldete sich die flüsternde Stimme: »Können wir uns ein bisschen beeilen?«
    »Sie dürfen nicht …«
    Ein warmes Gefühl in der Hand.
    »Welcher Tag ist heute?«
    »Darüber haben wir doch schon gesprochen. Es ist Donnerstagmorgen. Heiligabend. Aber denken Sie jetzt an nichts anderes als daran, sich auszuruhen. Sie haben beide sehr viel Glück gehabt. Unglaubliches Glück. Wir haben Ihnen jetzt etwas gegeben, damit Sie schlafen können.«
    Die Stimme entfernte sich. Hannah konnte sie noch hören, aber die Worte ergaben keinen Sinn mehr. Die Medizin hatte sich ihres Körpers bemächtigt, und sosehr sie auch dagegen ankämpfte, es war ein ungleicher Kampf, den sie nicht gewinnen konnte. Dann kam die Dunkelheit zurück und erlöste sie.

3.
    3.
    Intensivstation, Rigshospital
    Jedes Aufwachen fühlte sich an wie ein endloses Emporsteigen aus dem Tod zurück ins Leben. Das Licht schmerzte in den Augen, und der Körper schien einer Schwerkraft zu unterliegen, die viel stärker als die der Erde war. War das die Anziehungskraft des Todes? So musste es Lazarus gegangen sein, als Jesus ihn zum Leben erweckte, dachte Niels, kniff die Augen zu und spürte, wie sich sein Körper in die Matratze drückte, Richtung Boden, Richtung Erde.
    Er atmete schwer, sah sich um. Das Krankenhaus. Immer nur das Krankenhaus. Er schloss die Augen und ließ sich fallen.
    ***
    Donnerstag, 24. Dezember
    »Niels?«
    Er erkannte die Stimme wieder.
    »Niels.«
    Die hohe Stirn. Die freundlichen Augen erinnerten ihn an seinen Vater.
    »Kannst du mich hören? Ich bin es. Willy. Dein Onkel.«
    »Willy?«
    »Ich war schon ein paarmal hier. Aber, Junge, du warst immer bewusstlos. Gut, dass dein Vater und deine Mutter dich nicht so sehen müssen. Sie hätten das sicher nicht verkraftet.«
    Niels lächelte. Willy war sozusagen seine ganze Familie. Der Einzige, der ihm geblieben war. Die anderen, die es noch gab, konnte er nicht ertragen.
    »Kannst du mir sagen, wo Kathrine arbeitet? Ist sie im Ausland? Damit ich sie anrufen kann?«
    Niels schüttelte den Kopf. »Nein, ich rufe sie selbst an, wenn es mir wieder bessergeht.«
    »Okay, okay, mein Junge. Du schaffst das. Das sagen die Ärzte auch. Du bist stark. Du warst immer ein starker Junge. Der Sohn deines Vaters.«
    Niels wollte zurück in die Schwere der Dunkelheit. Weg. Er hörte Willy plaudern, während er sich fallen ließ. Sein Onkel redete über Blumen und Schokolade und über all die anderen aus der Familie, die nicht mehr lebten. Es war angenehm, sich von seiner Stimme auf dem Weg ins Dunkel begleiten zu lassen.
    »Fröhliche Weihnachten«, mischte sich plötzlich eine andere Stimme ein. Fast

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