Die Auserwählten
brauche einen Gärtner. Und ihr kommt mit dem Jungen Pandey.‹«
»Das klingt wie eine Komödie.«
»Mag sein. Pandey erklärte weiter, dass er, als er sein Bewusstsein wiedererlangte, im Kreise von Familienmitgliedern und Freunden aufwachte, die so etwas wie Totenwache bei dem Kind hielten. Unter diesen Personen war auch der Gärtner Pandey. Der Junge erzählte ihm, was er gehört hatte, aber der Gärtner und die anderen lachten nur. Der Gärtner Pandey war ein junger, starker Mann. Aber am nächsten Tag …« Agnes machte eine kleine Kunstpause.
»War er tot«, flüsterte Hannah.
»Ja.«
Stille senkte sich wie eine schalldichte Glocke über das Zimmer.
»Eine ziemlich gut dokumentierte Geschichte. Später meinte Pandey – also der Junge –, dass der unangenehme Mann Yamraj war, der Totengott der Hindus. Der Junge berichtete ferner, dass ihn dieselben Männer wieder zurückgetragen hätten, nachdem klargeworden war, dass sie den falschen Pandey geholt hatten.«
Die alte Frau atmete tief durch. Es strengte sie offensichtlich an, so lange zu reden. »Vasudev Pandeys Geschichte wird wohl auch noch in das Buch aufgenommen werden.«
»In das Buch?«
Sie lächelte. »Denken Sie doch einmal darüber nach, wie viel uns allen der Tod bedeutet. Das Einzige, was wir mit Sicherheit wissen, ist die Tatsache, dass wir einmal sterben werden. Das verbindet alle Menschen. Das ist wirklich das Einzige, was wir über Landesgrenzen, Kulturen und Religionen hinweg gemeinsam haben. Es gibt Psychologen, die sagen, dass alles, was wir unternehmen, in irgendeiner Weise damit zu tun hat, dass der Tod irgendwo dort draußen auf uns wartet. Deshalb lieben wir. Deshalb bekommen wir Kinder. Deshalb drücken wir unsere Gedanken und Gefühle aus. Der Tod ist, mit anderen Worten, immer in unserer Nähe. Warum sollten wir da nicht so viel wie nur möglich über ihn wissen? Soll ich Ihnen etwas sagen? Mag sein, dass das jetzt absurd klingt, Sie dürfen auch über mich lachen, das bin ich gewohnt, aber so viele Menschen lesen Reiseführer, bevor sie in Urlaub fahren. Sie wollen vor ihrer Abreise etwas wissen über Paris oder London oder wohin sie auch fahren. Um vorbereitet zu sein. Der Tod ist das ultimative Ziel, und für dieses Ziel möchte ich gern einen Führer schreiben. Klingt das verrückt?«
Hannah schüttelte den Kopf. »Nicht, wenn Sie es so sagen.«
Agnes Davidsen beugte sich etwas vor und sah Hannah in die Augen. »Würden Sie mir jetzt erzählen, was Sie erlebt haben, als Sie tot waren?«
Hannah zögerte. Irgendwo spielte ein Radio Weihnachtsmusik.
I am driving home for Christmas .
»Hannah … Man spricht von dem Augenblick des Todes. Dabei ist das eigentlich eher ein Prozess. Der Atem setzt aus, das Herz hört zu schlagen auf, und das Hirn stellt seine Aktivitäten ein. Nachdem dieser Prozess abgelaufen ist, folgt eine Zeit – bei manchen dauert sie bis zu einer Stunde – in der die Möglichkeit besteht, wiederbelebt zu werden. Die Frage lautet also: Was erlebt der Tote in dieser Zeit? Diese Frage ist der Kernpunkt unserer Forschung.« Sie legte ihre Hand auf Hannahs Arm. »Wie lange waren Sie selbst tot?«
»Ich weiß es nicht.« Hannah zuckte mühsam mit den Schultern.
»Zirka neun Minuten«, klärte Agnes sie auf. »Wenn ich richtig informiert bin.«
Hannah antwortete nicht.
»Sie können vollkommen frei reden. Und keine Sorge, wenn Sie nicht wollen, werde ich Ihr Erlebnis nicht für mein Buch verwenden. Ich will es einfach nur gern hören. Denken Sie daran: Viele Elemente tauchen in den Nahtoderlebnissen immer wieder auf, trotzdem gibt es keine zwei, die sich vollkommen gleichen. Es gibt immer Nuancen, Unterschiede. Würden Sie sich mir anvertrauen?«
… driving home for Christmas .
Hannah blickte zu dem Regalbrett hoch.
»Ich bin mir nicht sicher.«
»Warum?«
Sie zögerte. »Vielleicht will ich nicht der Beweis sein …«
Agnes lachte abgehackt. »Der Beweis für das Leben nach dem Tod? Keine Sorge. Wir sprechen von einer Bewusstseinsstudie. Das klingt weit weniger erschreckend.«
Schweigen. Schließlich fragte Agnes: »Hannah … wissen Sie, was da oben auf dem Regalbrett liegt? Haben Sie es gesehen?«
… get my feet on holy ground … so I sing for you …
Agnes wählte einen neuen Ansatzpunkt: »Glauben Sie an Gott?«
»Das weiß ich nicht.«
»Ich frage Sie danach, weil meine Erfahrung mir sagt, dass viele Menschen etwas in ihre Nahtoderlebnisse hineininterpretieren – sie nehmen den
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