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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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Ihre Mutter und Ihren Vater?
    Worning: Mein Vater hat im Hafen gearbeitet, meine Mutter war zu Hause.
    Levin: Würden Sie Ihre Kindheit als gut bezeichnen?
    Worning: Ich bin nie geschlagen oder misshandelt worden.
    Levin: Haben Sie Geschwister?
    Worning: Die sind beide an Typhus gestorben. Im Abstand von zwei Jahren. Meine Mutter hat das nie verwunden.
    Levin: Und Ihr Vater?
    Worning: Er hat etwas mehr getrunken. Viel mehr.
    Levin: Aber Sie sind zur Schule gegangen. Würden Sie Ihre Schulzeit als normal bezeichnen?
    Worning: Ja.
    Levin: Sie haben an sich … nichts Auffälliges bemerkt?
    Worning: Auffälliges?
    Levin: Sie waren wie die anderen Kinder? Hatten Freunde?
    Worning: Ja.
    Levin: Waren Sie mitunter deprimiert oder …
    Worning: Ich glaube, ich war wie alle anderen.
    Levin: Was haben Sie nach dem Schulabschluss gemacht? Sie haben die Mittelschule besucht?
    Worning: Ich habe im Hafen gearbeitet, mit meinem Vater. Das war eine gute Zeit, bis …
    Levin: Bis was geschah?
    Worning: Das Unglück.
    Levin: Welches Unglück?
    Worning: Er ist ins Wasser gefallen. Er dachte, das Eis würde halten. Wir haben ihn nicht mehr rausholen können. Er ist unter das Eis getrieben. Zwei Wochen später starb meine Mutter.
    Levin: Woran?
    Worning: Sie ist nie zum Arzt gegangen. Aber sie hat ihre Lunge in Stücke gehustet. Und dann eines Morgens – genau zwei Wochen nach Vaters Tod – kam Blut. Ich erinnere mich noch ganz genau. Es war schrecklich. Ein paar Stunden später war sie tot.
    Levin: Das tut mir leid.
    Worning: Das war das Beste, was ihr geschehen konnte. Nach Theas und Annas Tod war …
    Levin: Ihre Schwestern?
    Worning: Bekomme ich heute mein Funkgerät?
    Levin: Was?
    Worning: Mein Funkgerät. Ich bitte schon seit zwei Tagen darum.
    Levin: Davon weiß ich nichts. Ich werde mich danach erkundigen, wenn wir hier fertig sind. Sollen wir ein bisschen über Ihre Frau reden?
    Worning: Warum? Was hat sie damit zu tun?
    Levin: Oder über Ihre Arbeit? Sie sind…
    Worning: Ich bin Funker. Ich habe keine richtige Ausbildung gemacht, aber ich hatte einen Freund, der … müssen wir auf alle Details eingehen?
    Levin: Nur auf die wichtigen.
    Worning: Gut. Ich habe beim Militär gearbeitet. Hitler war ja ernsthaft zur Tat geschritten. Ich glaube … es war meine Bestimmung, Funker zu werden.
    Levin: Bestimmung? Eine höhere Bestimmung?
    Worning: Ist das eine Frage?
    Levin: Ja, können Sie erklären, was passiert ist?
    Worning: Ich habe eine Spur entdeckt. Ja, so ist es. Ich bin auf der Spur von etwas.
    Levin: Auf der Spur von was?
    Worning: Da sind Leute gestorben. Überall auf der Welt sind Leute gestorben.
    Levin: Im Krieg sterben Menschen.
    Worning: Es geht nicht um den Krieg. Glaube ich. Die sind einfach so gestorben.
    Levin: Wie haben Sie das erfahren?
    Worning: Wenn Sie wüssten, was ich mit meinem Funkgerät alles auffange. Kurzwelle. Langwelle. Diese Wellen sind wie Fangarme, die sich um die ganze Welt recken. Wie Flaschenpost. Und manche kommen wieder zurück zu mir.
    Niels war so in die Lektüre des Gesprächs versunken, das vor einem halben Jahrhundert geführt worden war, dass er zu spät hörte, wie die Tür geöffnet wurde. Plötzlich stand jemand im Raum.

15.
    15.
    04.15 Uhr – 11 Stunden, 37 Minuten bis Sonnenuntergang Allein schon das Öffnen der Augen war für Hannah die reinste Kraftprobe. Ihr Körper fühlte sich schwer an, und der Raum drehte sich langsam in ovalen Bahnen um sie herum. Wie das Karussell auf einem Jahrmarkt. Sie war sich nicht sicher, hatte aber das Gefühl, dass die Schmerzmittel jetzt höher dosiert waren und sie deshalb so benebelt war. Sie gab sich alle Mühe, richtig wach zu werden. Sagte sich selbst, dass heute Freitag war. Die Gardinen waren vorgezogen. War es noch immer Nacht, oder war der neue Tag schon angebrochen? Sie musste aufstehen. Heute Abend, wenn die Sonne unterging … Sie schloss die Augen für ein paar Sekunden wieder.
    »Hannah?«
    Eine unbekannte Stimme.
    »Sind Sie wach?«
    »Was?«
    »Ich wollte Ihnen nur kurz die hier geben.« Eine Krankenschwester – vielleicht hatte Hannah sie doch schon gesehen – steckte ihr eine Tablette in den Mund, hob ihren Kopf etwas an und half ihr, einen Schluck zu trinken.
    »Nein, bitte nicht. Ich will nicht so benebelt sein, bitte.«
    »Sie brauchen Schlaf.«
    »Sie verstehen nicht.«
    Unter Anstrengung gelang es Hannah, die Tablette wieder auszuspucken. Sie landete halb aufgelöst mit einem Tropfen hellrotem Speichel auf dem

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