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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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Copenhagen?«
    Das war Amanda aus Argentinien. Sie war zweiundzwanzig, studierte an der Kunstakademie und hatte Buenos Aires seit fünfzehn Jahren nicht mehr verlassen. Amandas Mutter war bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, als Amanda sieben Jahre alt war. Bei ihr gab es allem Anschein nach eine psychologische Erklärung für ihre Reisephobie. Bei vielen anderen gab es diese Erklärung nicht. Niels hatte jedenfalls keine. Auch nicht für seinen Fall. Er hatte alles versucht. Psychologen. Hypnose. Aber niemand hatte eine Erklärung finden können. Es ging einfach nicht.
    »Hello, beautiful, it is colder than where you are.«
    Er bereute es, »Schöne« geschrieben zu haben. Das klang irgendwie nach altem Mann. Aber Amanda war wirklich schön. Er betrachtete ihr Profil. Mandelförmige Augen, kräftiges, schwarzes Haar und volle Lippen. Auch der rote Lippenstift fehlte nicht, als das Foto geschossen worden war.
    Amandas Antwort tauchte am unteren Rand des Bildschirms auf: »Wish I could be there and warm you.«
    Niels lächelte. Sie flirteten in diesem Forum ziemlich heftig miteinander. Ein paar Hundert Menschen, die sich niemals begegnen würden, dabei aber schreckliches Fernweh hatten. Sie schickten sich gegenseitig Bilder ihrer Heimatstädte, persönliche Texte und Rezepte. Niels hatte selbst ein Rezept für die gute alte dänische Leberwurst ins Netz gestellt, frei für das ganze Forum. Es war ein Hit geworden. Er selbst hatte die Paella von Louis’ Mutter nachgekocht und dabei einer zwölfsaitigen Gitarre gelauscht – auch diese Musik hatte er von Louis. Es war fast so, als wäre man selbst bei den anderen. Das war das Gute an diesem Forum. Es ging nicht darum, was sie nicht konnten: reisen, fahren, fliegen. Sie redeten nicht nur über ihre Krankheit, sondern vielmehr über all das, was sie konnten – miteinander reden, über sich selbst, die Heimat, die eigene Kultur – so dass sie mit der Hilfe der anderen die Welt kennenlernten.
    Er plauderte ein bisschen mit Amanda, bis sie zur Schule musste. Sie versprach ihm, ein Foto von der Akademie zu machen und von der Skulptur, an der sie arbeitete.
    »Bye, Niels. Handsome man«, schrieb sie und war weg, bevor er antworten konnte.
    Er wollte gerade seinen Computer ausschalten, als ein Bild von Kathrine auf dem Bildschirm aufpoppte.
    »Niels?« Er schaltete seine Webcam ein.
    Der Bildschirm flimmerte leicht. Als bräuchte er einen Augenblick, um sich mit seinem afrikanischen Artgenossen zu synchronisieren.
    »Schläfst du nicht?« Ihre Stimme klang etwas rau.
    »Ich bin gerade erst nach Hause gekommen«, antwortete er.
    Sie zündete sich eine Zigarette an und lächelte. Die Zigaretten hatten sie gemeinsam. Wenn sie eh keine Kinder bekommen konnten. Niels merkte, dass sie getrunken hatte.
    »Sieht man, dass ich beschwipst bin?«
    »Nein. Ich finde nicht. Warst du unterwegs?«
    »Machst du die Beatles aus? Ich höre kaum, was du sagst.«
    Er schaltete die Musik aus, justierte den Bildschirm und sah sie an.
    »Stimmt etwas nicht?«, fragte sie.
    »Doch, doch, alles in Ordnung.«
    Sie lächelte. Niels wollte nicht von seinem Abend erzählen. Es gab keinen Grund, dieses Elend mit jemandem zu teilen, so etwas lag ihm nicht. Er hasste es, wenn Menschen traurige Geschichten über kranke oder tote Kinder erzählten. Von Badeunfällen, Verkehrstoten oder Katastrophen … warum mussten andere das erfahren?
    Kathrine rückte ihre Webcam zurecht. Sie saß in ihrem Hotelzimmer. Im Hintergrund konnte er ein Funkeln erkennen. Waren das die Lichter der Stadt, das Mondlicht, das den Tafelberg streifte, oder das Kap der Guten Hoffnung? Waren die kleinen, leuchtenden Vierecke Schiffe draußen auf dem Indischen Ozean?
    »Habe ich dir von Chris und Marylou erzählt? Dem amerikanischen Architektenpaar, das hier runtergekommen ist? Die haben es echt drauf. Er hat sogar schon mit Daniel Libeskind gearbeitet. Egal, die haben jedenfalls so eine Art Housewarming-Party gefeiert … du lernst sie dann ja selbst in ein paar Tagen kennen. Sie haben uns für Samstag eingeladen.«
    Sie sah ihn auffordernd an.
    »Würde mich freuen.«
    »Hast du die Tabletten geholt?«
    »Ja, natürlich.«
    »Kann ich sie sehen?«
    Niels stand auf und ging ins Badezimmer. Als er zurückkam, hatte Kathrine ihre weiße Bluse ausgezogen. Sie saß jetzt nur im BH da. Niels wusste genau, worauf sie hinauswollte.
    »Ist es so warm bei euch?«, zog er sie auf.
    »Es ist toll hier, Niels. Das beste Klima der Welt.

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