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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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der Passkontrolle stellte er sich in die Reihe für »All other countries«. Während die EU-Bürger rasch durch ihr privilegiertes Portal verschwanden – ihnen konnte man ja trauen –, ging in Abdul Hadis Warteschlange nichts vorwärts. Aber daran hatte er sich gewöhnt. »Orientexpress« hatte einmal ein Araber diese Schlange genannt. Eine somalische Mutter mit drei Kindern führte einen hoffnungslosen Dialog mit dem schwedischen Polizisten hinter der Glasscheibe. Sie würde niemals ins Land kommen, das sah Abdul Hadi sofort. Solche Situationen erlebte er auf jeder seiner Reisen. Menschen, die nicht aus dem Westen kamen, wurden abgewiesen. Immer gab es Probleme mit ihren Visa, eine Abweichung beim Namen eines Kindes, ein Buchstabe, der im Pass stand, nicht aber auf dem Flugticket, ein fehlendes Rückflugticket, ein etwas zu altes Passfoto – schon die kleinste Ungleichheit führte dazu, dass ihnen die Einreise verwehrt wurde. Europa war ein Fort – die Passkontrolle die Zugbrücke über den Wassergraben. Kannte man das Codewort nicht, musste man kehrtmachen.
    Die somalische Frau weinte. Ihre Kinder hatten Hunger, die Haut der Kleinen klebte an den Gesichtsknochen, wie man es sonst nur bei sehr alten Menschen sah. Der Anblick tat ihm weh. Schließlich mussten sie zur Seite treten und die anderen vorbeilassen. Dann war Abdul Hadi an der Reihe. Sein Gesicht wurde eingehend gemustert. Sowohl im Pass als auch im Original. Er begann, die Europäer zu zählen, die in der gleichen Zeit durch den Zoll gingen. Fünf . Der Polizist zog seinen Pass durch eine Maschine. Zwölf .
    »Business?«
    »Visiting family.«
    »Do you have a return ticket?«
    »Yes.«
    »Show me please.«
    Abdul Hadi sah zu der anderen Schlange hinüber. Weitere fünf – siebzehn . Der Polizist inspizierte das Ticket genau. Ohne gültiges Rückflugticket war die Einreise unmöglich; sie wollten sicher sein, dass man schnellstmöglich wieder verschwand. Fünfundzwanzig. Abdul Hadi zählte bis zweiunddreißig , bevor er seinen Pass und das Rückflugticket ohne ein Wort ausgehändigt bekam.
    »Nächster!«
    ***
    Er war der einzige Araber ohne Begleitung am Ausgang. Ihre Blicke begegneten sich, und sie gingen aufeinander zu.
    »Abdul?«
    »Ja.«
    »Willkommen. Ich bin Mohammed. Dein Vetter.«
    Erst jetzt bemerkte Abdul Hadi die Ähnlichkeiten. Das ovale Gesicht, die Haare, die auch ihm bald ausfallen würden, waren bereits schütter. Die buschigen Augenbrauen. Er lächelte. Seit der Bruder seiner Mutter vor gut zwanzig Jahren ins schwedische Asyl gegangen war, hatte er ihn nicht mehr gesehen. Jetzt stand also einer seiner Söhne vor ihm, hier geboren, gut genährt, entspannt.
    »Du scheinst hier reichlich zu essen zu bekommen.«
    »Ich bin fett, ich weiß. Mein Vater beklagt sich auch immer.«
    »Du musst ihm meine Grüße und meinen Respekt überbringen.«
    »Das werde ich tun. Lass mich deinen Koffer tragen.«
    Sie gingen zum Ausgang.
    »Warum holst du mich ab und nicht dein Vater?«
    Mohammed suchte nach den richtigen Worten.
    »Ist er krank?«
    »Nein.«
    »Hat er Angst?«
    »Ja.«
    Abdul schüttelte den Kopf.
    »Aber wir sind viele. Ein ganzes Heer. Eine schlafende Streitmacht.«
    »Ja, ein schlafendes Heer, das aber manchmal verdammt tief schläft«, sagte Abdul zu seinem jungen Vetter, den der Westen so gut ernährt hatte.
    Auf dem Rücksitz des Wagens lag ein Päckchen. Abdul tadelte Mohammed dafür, es so offen liegen gelassen zu haben. Das schlafende Heer war nicht nur übergewichtig, sondern auch ungeschickt.
    »Das sind nur die Fotos«, verteidigte sich Mohammed. »Der Sprengstoff ist im Kofferraum.«
    Abdul studierte die Bilder von der Kirche. Er erkannte sie nicht. »Bist du sicher, dass das die richtige ist?«
    »Vollkommen sicher. Das ist eine der bekanntesten Kirchen in Kopenhagen.«
    Er betrachtete die anderen Bilder, die er schon im Internet gesehen hatte. Jesus am Holzkreuz. Es ärgerte ihn, dass auch er in der Explosion vernichtet werden würde. Aber schließlich war das nur eine Figur, nicht der wirkliche Jesus. Ein Resultat des unaufhörlichen Versuchs des Westens, sich von allem Heiligen Abbilder, Figuren und Zeichnungen zu machen. Krippenspiele, exakt geschnitzte biblische Motive. Statuen und Gemälde ohne Ende. Die westlichen Völker versuchten sich selbst mit Bildern zu überzeugen; damals wie heute. Nur dass es jetzt Reklameplakate für ihren eigenen Lebensstil waren. Sie waren nicht wie das Volk von Hadi – das das

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