Die Auserwählten
mehr hatten, und und und. Da war nichts dagegen zu sagen, dass einige Beamte das Bedürfnis hatten, auch noch ihre Pension zu nutzen. Die Chefs forderten flüsternd – natürlich nur im Spaß, wie sie betonten –, die Regierung solle eine Art Republikanische Garde einrichten, wie es sie teilweise im Nahen Osten gab. Ein kleines Heer bereitwilliger Instrumente, um die Wünsche der Regierung umzusetzen. Diese Garde hätte sich dann um die Räumung von Christiania zu kümmern und hier und dort und überall Krieg gegen die Demonstranten führen können. Das würde Luft schaffen, so dass die Polizei sich auf die Aufgaben konzentrieren könnte, die sie am besten lösen konnte: To protect and to serve . Menschen zu beschützen und Verbrechen aufzuklären.
Casper warf Niels einen geringschätzigen Blick zu. »Nützt Ihnen Jesus etwas?«
»Wie brauchen jetzt lebende Dänen, Casper.«
»Gute Dänen?«
»Ja, gute, gerechte Dänen. Ich brauche eine Liste.«
»Richter am Höchsten Gericht oder so etwas?«
»Kommen Sie, stellen Sie sich nicht dumm.«
»Können Sie mir ein Beispiel nennen?«
»Rotes Kreuz«, sagte Niels.
»Okay, gut. Sie meinen Wohltätigkeit.«
»Nicht nur, aber auch.«
Casper wandte sich wieder seinem Bildschirm zu. Wie alt mochte er sein? Sicher keinen Tag älter als zweiundzwanzig. Viele der Jungen konnten so früh so vieles, dachte Niels. Sie hatten dreimal die Welt umrundet, eine Ausbildung gemacht, sprachen alle möglichen Sprachen und entwickelten Softwareprogramme. Als Niels zweiundzwanzig war, konnte er ein Fahrrad flicken und auf Deutsch bis zehn zählen.
»Wie viele brauchen Sie? Rotes Kreuz, Amnesty, Kirchliche Nothilfe, UNICEF Dänemark, Friedensakademie …«
»Was ist denn die Friedensakademie?« Susanne, die älteste Archivarin, sah von ihrer Arbeit auf.
Casper zuckte mit den Schultern und klickte die Webseite der Organisation an. Susanne blickte Casper und Niels unzufrieden an: »Und was ist mit Save the Children? Die unterstütze ich.«
»Ich brauche keine Organisationen, ich brauche Menschen. Gute Menschen.«
»Und was ist mit der Geschäftsführerin von Save the Children?«, fragte Susanne weiter.
Niels atmete tief durch und entschloss sich, noch einmal von vorne zu beginnen.
»Also: Überall auf der Welt sind gute Menschen ermordet worden. Menschen, die sich für das Leben ihrer Mitmenschen eingesetzt haben, für ihre Rechte und ihre Würde.«
»Nein, dann machen wir das anders«, unterbrach Casper ihn. »Wir suchen nach den Worten.«
»Den Worten?«
»Querverweise. Diejenigen, die wir als die Guten einstufen, werden doch wohl die Leute sein, die am häufigsten in den Medien zu finden sind, nicht wahr? Und wenn es wirklich einen internationalen Terroristen gibt, der um die Welt reist und Morde begeht, muss der seine Informationen ja auch irgendwo herhaben. Und dieser Ort kann nur das Internet sein.«
»Das leuchtet mir ein.«
»Deshalb suchen wir – wie der Terrorist – nach den Worten, die wir brauchen, um auf die Liste der Guten zu kommen. Sie wissen schon: Umwelt, Dritte Welt, so was.«
Während Susanne sich noch fragte, ob das wirklich eine gute Idee war, fuhr Niels fort: »Entwicklungshilfe, AIDS, Medizin.«
Casper nickte und ergänzte: »Klima. Impfung. Krebs. Ökologie. CO2.«
»Aber was heißt es, ein guter Mensch zu sein?«, unterbrach Susanne ihn.
»Das ist egal«, sagte Casper. »Es kommt nur darauf an, was die anderen für gut halten.«
Niels waren noch weitere Worte in den Sinn gekommen: »Forschung, sauberes Wasser, nein, sauberes Trinkwasser.«
»Ja, das ist gut, weiter.«
Casper begann zu tippen, und endlich warf auch Susanne ihre Skepsis über Bord. »Wie wäre es mit Kindersterblichkeit? Malaria, Gesundheit?«
»Gut.«
»Analphabetismus. Prostitution.«
»Missbrauch«, warf Niels ein.
»Mikrokredite. Entwicklungshilfe, Ehrenamt«, sagte Casper.
»Und Regenwald«, schloss Susanne und sah so betroffen aus, als wären Casper und Niels persönlich dabei, Brennholz aus dem Regenwald zu machen. Caspers Finger hoben sich von der Tastatur, als wäre sie die Klaviatur eines Steinway, auf dem er die letzten Takte der Dritten Symphonie von Rachmaninow gespielt hatte.
»Geben Sie mir zehn Minuten.«
***
Niels verbrachte die Wartezeit vor der Kaffeemaschine. Der Mokka war schlecht und konnte sich in keiner Weise mit dem Kaffee aus der Espressomaschine messen, die Kathrine im letzten Jahr aus Paris mitgebracht hatte. Niels hatte schlechte Laune.
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