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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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der richtigen Seite verbucht werden. Die westliche Dekadenz richtete sich selbst zugrunde. Ein Leben, das auf der Ausnutzung der anderen basierte, auf der perversen, sexuellen Vergötterung von Kindern. Kinder! Abdul Hadi sah das jeder einzelnen Schaufensterpuppe hinter den verglasten Fassaden der Boutiquen an. Winzige Brüste, noch unreif. Einige dieser Puppen standen sogar ohne Kleider da, ohne dass das jemanden zu genieren schien. Die Menschen rannten mit Päckchen und Tüten unter den Armen herum – in ihrer Religion drehte sich alles nur ums Kaufen. Bei ihren wichtigsten religiösen Festen aßen sie Schwein, kauften ihren Kindern groteske Mengen Geschenke – und regten sich darüber auf, dass im Nahen Osten keine Demokratie herrschte. Es ärgerte Abdul Hadi, dass sein Bruder hierher gegangen war. Nach Europa. Trotzdem musste sein Tod gerächt werden.
    Abdul Hadi steckte die Hand in die Tasche und versicherte sich, dass das Messer da war. Sein Vetter hatte es ihm gebracht, als er ihn abgeholt hatte. Dieser dicke Kerl. Er war wütend geworden, als er gehört hatte, dass Abdul Hadi den Zug hatte verlassen müssen, und schließlich hatte er es kaum gewagt, Abdul über die Brücke nach Dänemark zu fahren. Ein schlafendes Heer . Abdul Hadi hatte seinem Vetter eine Standpauke gehalten. Ihn im Auto angeschrien, als dieser ihm sagte, es gefiele ihm gar nicht, Abdul jetzt fahren zu müssen.
    Ein Weihnachtsmann kam vorbei – gefolgt von Kindern. Abdul Hadi stand auf und ging zur Kirche.
    Die Kirche war menschenleer. An der Wand hing ein großes Holzkreuz mit einer Jesusfigur. Hier wollte er den Geistlichen platzieren, wenn er mit ihm fertig war. Auch dieses Bild würde auf den Titelseiten der westlichen Medien landen. Ikonografie. Das war wichtig. Das Leben der Menschen im Westen basierte zu hundert Prozent auf Äußerlichkeiten: Kleider, Aussehen, Spiegel, Bilder, Fernsehen, Reklame. Abdul Hadi leierte seine auswendig gelernten Phrasen herunter, während er die Topografie der Kirche studierte: »Die Menschen im Westen führten keinen inneren Dialog, kein Gespräch mit Gott.«
    Eine Frau wandte sich an ihn, bemerkte aber gleich, dass er kein Dänisch sprach. »The church is closing.« Dann fügte sie lächelnd hinzu: »Friday night is midnight mass. If you are interested?«
    »Thank you.«
    Er ging nach draußen. Im Kindergarten brannte jetzt kein Licht mehr – die Kirche schloss. Abdul Hadi ging um die Sakristei herum, unter der sie ein Fenster für ihn vorbereitet hatten. Er hätte gern erst noch ein Gebet gesprochen, doch dazu blieb ihm keine Zeit mehr. Er hatte gesehen, dass der Geistliche seine Jacke angezogen hatte. Er musste jetzt handeln, jetzt.

31.
    31.
    Helsingør
    Hannah schenkte Kaffee nach, verschüttete etwas auf dem Tisch und wischte den Fleck mit einem Lappen weg.
    »War das alles?«, fragte sie.
    »Ja. Einundzwanzig Fälle.«
    »Von der Antarktis bis Caracas. Mit Abstechern nach Afrika und Asien.« Dann sah sie ihn an. »Im Prinzip könnten das noch mehr sein.«
    »Warum denken Sie das?«
    Sie blätterte weiter, bis sie den Russen fand. »Er ist Nummer einunddreißig.«
    »Ja.«
    »Und es gibt auch die Nummern dreiunddreißig und vierunddreißig. Russel Young aus Washington DC und Raj Bairoliya aus Mumbai. Aber vielleicht waren das gar nicht die Letzten. Es gibt ja auch vorher schon Lücken.« Sie warf einen Blick auf die Karte.
    »Wir haben Chama Kiwete aus der Olduvai Gorge in Tansania. Er ist die Nummer eins. Maria Saywa aus Peru hat die Nummer sechs. Amanda Guerreiro aus Rio de Janeiro ist die sieben. Ludvig Goldberg aus Tel Aviv hatte die zehn auf dem Rücken. Nancy Muttendango aus Nairobi die elf. Es gibt einen Haufen Lücken. Wo sind die fehlenden Zahlen?«
    »Es könnte doch sein, dass die noch kommen?«, schlug Niels vor.
    »Wissen Sie, dass der Olduvai-Graben als die Wiege der Menschheit gilt? Dort wurden Überreste des ersten richtigen Vormenschen gefunden. Und genau dort wurde die Nummer eins ermordet. Chama Kiwete.«
    Niels sah sie desorientiert an und schüttelte den Kopf. »Es ist keinesfalls sicher, dass man überall diese Male auf dem Rücken bemerkt hat. Oder dass alle Fälle dokumentiert worden sind. Es gibt Länder, in denen schreckliche Bürgerkriege und Hungersnöte herrschen. Da wird in einem Mordfall gar nicht erst ermittelt. Es ist also kaum auszuschließen, dass nicht irgendein Entwicklungshelfer oder Arzt in Botswana oder sonst wo auf der Welt tot aufgefunden worden ist.«

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