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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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Kopenhagen Niels rannte in die Købmagergade und sah aus dem Augenwinkel gerade noch, wie eine Politesse ihm einen Strafzettel unter den Scheibenwischer klemmte.
    »Heh!«
    Niels rempelte einen Mann an, dessen übervolle Einkaufstüten auf der Straße landeten. Niels hatte aber keine Zeit, sich zu entschuldigen. Die Straßen bogen sich förmlich unter der Last der Weihnachtsdeko, der Menschen, ihrer Einkäufe und ihrem Stress. An der theologischen Fakultät lief er durch eine schmale Unterführung und kam in ein freundlicheres Viertel. Ein Blick auf sein Telefon verriet, dass Rosenberg wieder anrief.
    »Was passiert jetzt?«
    »Wo sind Sie?«
    »Noch immer im Büro.« Der Pastor war noch nicht in Panik. Es fehlte aber nicht viel, das merkte Niels an seinen stoßweisen Atemzügen.
    »Und wo ist er?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Wo haben Sie ihn denn gesehen?«
    »Drinnen in der Kirche. Wann können Sie hier sein?«
    Niels hastete über die Skindergade. Ein lautes Scheppern im Ohr.
    »Rosenberg?«
    Wieder war nur Lärm zu hören. Die Fragen schwirrten durch Niels’ Kopf. Warum der Pastor? Es gab doch so viele andere, so viele, die weitaus bekannter waren.
    »Sind Sie noch da?«
    »Er hält ein Messer in der Hand. Das ist die Strafe.«
    Niels konnte hören, dass irgendjemand gegen die Tür hämmerte. Er versuchte, schneller zu laufen – »Aus dem Weg!«, brüllte er. »Polizei! Machen Sie den Weg frei!«
    Er stürmte in die nächste Einkaufspassage, doch das war ein Fehler, denn hier kam er noch schlechter vorwärts. Fluchend bahnte er sich einen Weg durch die Passanten. Der Pastor hatte die Verbindung nicht unterbrochen. Niels hörte ihn immer wieder etwas von einer Strafe murmeln.
    »Sind Sie bald da?«, rief Rosenberg.
    »Ja, in einer Minute. Suchen Sie sich etwas, womit Sie sich verteidigen können.«
    Niels sah vor seinem inneren Auge, wie der Pastor die schwere Bibel nahm.
    »Ist der Eindringling allein?«
    »Ja, ich glaube, er ist allein.«
    »Und in der Kirche? Sind noch Angestellte in der Kirche?«
    Der Pastor schwieg.
    »Können Sie etwas hören?«, fragte Niels atemlos. »Was geht bei Ihnen vor?«
    »Er will die Scheibe einschlagen. Er will hier rein!«
    »Können Sie irgendwie nach draußen gelangen?«
    »Ich kann in die Toilette. Aber …«
    »Schließen Sie die Tür ab und warten Sie auf mich!«
    Der Pastor hielt die Verbindung.
    Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich ein Laster auf und versperrte Niels den Weg.
    »Verflucht!« Niels schlug wütend mit der flachen Hand gegen die Plane.
    »Jetzt bin ich da.« Rosenbergs Stimme überschlug sich. »In der Toilette.« Er klang, als stünde er im Begriff zusammenzubrechen. »Ich habe die Tür abgeschlossen. Aber die lässt sich leicht aufbrechen.«
    »Das Fenster? Ist das verschlossen?«
    »Wo sind Sie denn? Wo bleiben Sie denn?«
    »Eine Minute, höchstens.« Niels log. Aber eines der wichtigsten Mittel in der Krisenpsychologie war die Hoffnung. Gib den Geiseln immer Hoffnung. Selbst wenn man es mit einem Soldaten zu tun hatte, der mitten in der Green Zone der Helmand-Provinz von Kugeln getroffen und mit zerfetzten Beinen am Boden lag, war es wichtig, ihm Hoffnung zu geben. Der Soldat musste wissen, dass die Hoffnung immer da war, auch wenn man dafür lügen musste.
    Die Verbindung wurde unterbrochen. Die Rettungsleine gekappt.
    »Rosenberg?« Niels erhob seine Stimme. Als ergab es Sinn, in ein Telefon zu schreien, das zu niemandem mehr Verbindung hatte.
    Vor ihm tauchte jetzt die Heiliggeistkirche auf. Er stürmte über die Straße, und eine junge Mutter, die mit ihrem Fahrrad ausweichen musste, schrie ihn an und zeigte ihm den Finger. Als Niels über die niedrige Kirchenmauer sprang, versicherte er sich, dass seine Heckler & Koch an ihrem Platz im Halfter war. Trotzdem schoss ihm der immer gleiche Satz wieder und wieder durch den Kopf.
    Ich komme zu spät. Ich komme zu spät.

38.
    38.
    Niels-Bohr-Institut, Kopenhagen
    Hannah hastete mit dem Karton unter dem Arm über den Blegdamsvej. Ihr Ziel war das alte Niels-Bohr-Institut. Sie steckte den Schlüssel ins Schloss; er passte noch immer. Vielleicht hatte es ja einen gewissen Symbolwert, dass sie diesen Schlüssel niemals abgeliefert hatte. Wollte sie sich damit unbewusst die Tür zu ihrem Forscherdasein offenhalten? Fast lautlos fiel die Tür hinter ihr ins Schloss. Sie sah sich in dem alten Gebäude um, und ihr Blick fiel auf das berühmte Bild von Niels Bohr und Albert Einstein, die, in eine Diskussion

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