Die Auserwählten
war verschlossen. Niels hämmerte gegen die mit Blei eingefassten Scheiben. »Rosenberg!«, rief er.
Niels gab den Versuch auf, die Tür einzutreten, und konzentrierte sich stattdessen auf alternative Eingänge. Ein Satz, den der Geistliche gesagt hatte, ging ihm durch den Kopf: »Das ist die Strafe.« Die Strafe wofür?, fragte Niels sich, während er um die Kirche herumrannte. Da, eine zweite Tür, die vielleicht in den Keller führte. Niels fasste auf die Klinke, aber die Tür war verschlossen. Dann bemerkte er ein geöffnetes Fenster. Es war recht hoch, allerdings befand sich ein kleiner Absatz darunter. Es war Dezember, jetzt hatte doch niemand ein Fenster offen stehen?
Wie war er da raufgekommen? An einem Baum standen ein paar herrenlose Fahrräder. Niels nahm zwei davon und lehnte sie an die Mauer. Ein Fuß auf den Sattel, Balance halten und dann nach oben auf den Absatz. Schließlich bekam er mit den Fingerspitzen ein Gitter anderthalb Meter unter dem geöffneten Fenster zu fassen. Er blies sich Luft in die Handflächen und rieb sie gegeneinander. »Jetzt komm schon!«
Er konnte sich mit den Füßen auf einen kleinen Vorsprung stellen und tastete sich höher. So konnte es gehen. Niels musste sich dicht an die Mauer pressen, um das Gleichgewicht zu halten. Dann bemerkte er das Blut an seinem Knie. Er musste es sich aufgeschrammt haben, ohne es zu merken. Er gönnte sich zwei Sekunden Pause. Komm schon . Dann griff er mit beiden Händen nach dem Sims des geöffneten Fensters. Einen Augenblick lang hing er frei in der Luft. Fiel er jetzt, würde er auf die Fahrräder stürzen oder auf einen der Bischofsgrabsteine in Engelsform. Panik stieg in ihm auf. Niels schaffte es nicht, sich hochzuziehen. Er schloss die Augen, nur für einen Moment, und versuchte, seine Kräfte für einen letzten Versuch zu sammeln. Aber auch der Gedanke aufzugeben und wieder das Gitter zu ergreifen, um gefahrlos nach unten zu klettern, meldete sich.
»Komm schon, Niels!«
Er nahm seine letzte Kraft zusammen und zog sich hinauf.
Dieses Mal gelang es ihm. Ein Arm lag auf den Absatz gestützt, sein freier Arm zitterte. Wenn sein Widersacher tatsächlich auf diesem Weg eingedrungen war, hatte er schlechte Karten.
***
Niels stand drinnen auf einem Flur, der einmal Teil des Klosters gewesen sein musste. Hoch über ihm wölbte sich die Decke, der Verkehrslärm von draußen sowie das Stimmengewirr der Passanten in der Fußgängerzone waren noch leise zu hören. Im Haus aber war es still.
»Rosenberg!«
Er rief noch einmal. »Copenhagen Police«, fügte er noch hinzu. So konnte er zwar Rosenberg noch etwas Mut zum Durchhalten machen, aber andererseits wusste jetzt auch der Eindringling, dass die Polizei in der Kirche war.
Niels schaltete das Licht nicht ein. Wieder musste er die Vor-und Nachteile abwägen. Die Dunkelheit konnte sein Freund, aber ebenso gut auch sein Feind sein. Er trat auf einen kleinen Verbindungsgang, von dem aus eine Treppe nach oben in den zweiten Stock führte. Plötzlich hörte er Lärm. Der Einbrecher machte sich wohl an der Tür zur Toilette zu schaffen.
Niels stürmte die Treppe hinauf und gelangte in einen weiteren Flur. Durch eine Glastür sah er die Umrisse einer Gestalt, die die Toilettentür einzutreten versuchte.
»Stopp!« Niels hielt die Pistole bereits in der Hand.
Der Mann drehte sich um und blieb einen Augenblick lang reglos stehen.
»Put your weapon down«, rief Niels.
Der Mann begann zu laufen. In diesem Moment hätte Niels schießen sollen – das wäre seine Pflicht gewesen. Noch bevor er den Gedanken zu Ende gedacht hatte, war die Gestalt verschwunden. Niels lief über den Flur. Der Türrahmen war zersplittert, und die Scharniere hingen schief. Zwei Minuten später, und der Mann wäre drinnen gewesen.
»Sie sind gekommen.«
Rosenberg kniete auf den Splittern. Er hatte sich vorbereitet – war bereit zu ertragen, was sein Leben ihm noch zu bieten hatte. Wäre der Einbrecher bis an sein Ziel gekommen, hätte Rosenberg ihm keinen Widerstand geleistet, das erkannte Niels sofort. Er half ihm auf.
»Sind Sie verletzt?«
Niels’ Blick fiel auf das kaputte Telefon am Boden.
»Es ist mir aus der Hand gerutscht. Ich hatte solche Angst und … wo ist er hingerannt?«
»Bleiben Sie hier. Nein. Schließen Sie sich drüben im Büro ein.« Niels zeigte auf die andere Seite des Flurs.
»Wissen Sie, in welche Richtung er weg ist?«
Niels schwieg und schob Rosenberg unsanft ins Büro.
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