Die Auserwählten
Sie die Tür ab und rufen Sie diese Nummer an.« Niels reichte ihm einen Zettel. »Rufen Sie Verstärkung! Sagen Sie, dass ich in Schwierigkeiten bin. Haben Sie verstanden?«
Rosenberg antwortete nicht. So wie er dastand, sah er fast etwas enttäuscht aus. Vielleicht weil ihm die Begegnung verwehrt worden war, auf die er sich zeit seines Lebens vorbereitet hatte. Niels fasste ihn am Arm. »Um Verstärkung bitten. Haben Sie verstanden? Dann kommt die Kavallerie.«
»Ja, ja.«
Niels verschwand.
Der Mann konnte nur in eine Richtung gelaufen sein. Niels eilte ihm hinterher. Als er um die nächste Ecke kam, sah er eine angelehnte Tür. Niels hielt inne. Er hörte keine verdächtigen Geräusche. Mit gezückter Pistole betrat er den Raum. Nichts. Psalmbücher. Protokolle, ein alter verstaubter Computer.
Zurück auf den Flur und weiter. Eine Treppe hinauf. Endlose Flure und Türen, soweit das Auge reichte. Treppen. Was, zum Teufel, war bloß hinter all diesen Türen? Ein dumpfer Laut. War das Rosenberg?
Niels atmete tief durch. Der Mann war verschwunden. Er hatte aufgegeben und war längst in der Stadt. Im gleichen Augenblick führte Niels seinen Arm instinktiv vor sein Gesicht. Das Messer zerschnitt seine Jacke und hing für einen Moment in dem robusten Leder fest. Niels warf sich zu Boden. Die Waffe rutschte aus seiner Hand. Dann war der Mann über ihm. Er traf Niels mit einem harten Schlag am Kinn. Niels hörte seine Zähne aufeinanderschlagen und landete schwer auf dem Rücken. Seine Lippen schmeckten nach Blut, er wusste aber nicht, ob das Messer ihn verletzt hatte. Der Mann drückte sein Knie auf Niels’ Arm. Mit dem anderen fuchtelte Niels herum, bekam schließlich Haare und ein Ohr zu fassen und zog daran. Der Mann schrie auf, dann schien ihm der Atem zu stocken. Niels schlug zu. Er zielte auf den Kopf des Mannes und traf den Unterkiefer. Die Lippen platzten auf, und Blut tropfte auf Niels herab. Mit einem Schrei warf sich der Mann auf Niels, doch dieser Schrei kostete ihn das Überraschungsmoment und unnötig viel Kraft, so dass Niels ein Handgelenk packen und weit genug drehen konnte, um den Arm auszukugeln. Der Einbrecher trat nach hinten und traf beim zweiten Versuch. Niels musste ihn loslassen. Sie standen sich schnaufend gegenüber. Niels lief Blut in die Augen, als er die Waffe wieder aufhob. Er konnte nicht mehr viel sehen. Sein Gegenüber taxierte ihn abwartend.
Niels wollte rufen, er brachte aber nur ein Flüstern heraus: »Put the knife down.«
Der Mann schüttelte den Kopf. Sie starrten sich an. Niels erkannte ihn: Es war Abdul Hadi, der jemenitische Terrorist. Sein Blick war manisch, verzweifelt. Vielleicht half die Tatsache, dass Niels ihn wiedererkannte, denn plötzlich war seine Stimme da: »Put the knife down!«
Es geschah nichts. Niels wusste, dass dies der Moment war, in dem er schießen sollte. Er hob die Pistole. Zielte.
»Ich bitte Sie. Legen Sie das Messer hin.«
Mit einem weiteren Schrei warf Abdul Hadi sich auf Niels. Er spürte die Spitze des Messers an seinem Hals, als er zu Boden ging und auf der Seite landete. Er hatte nicht geschossen. Hadi sah ihn überrascht an. Dann die Pistole. Niels wusste, was Hadi durch den Kopf ging. Traute sich der Polizist nicht zu schießen? Oder war die Waffe nicht geladen? Auf jeden Fall hatte Hadi plötzlich wieder Energie, beugte sich nach vorne und legte sich mit seinem ganzen Gewicht auf das Messer. Die Gesichter der beiden Männer berührten sich fast. Als das Messer in die Haut am Hals zu schneiden drohte, rammte Niels ihm mit seiner Stirn ins Gesicht. Blut quoll aus Hadis gebrochenem Nasenrücken. Mit dem Mut der Verzweiflung gelang es Niels, ihn von sich zu wälzen und sich ein wenig abzuwenden. Auf dem Rücken liegend, konnte er die Beine anziehen und Hadi einen kräftigen Tritt in den Unterleib verpassen. Der Mann knickte ein. Niels war sofort auf den Beinen. Die Pistole war ihm aus der Hand gerutscht und lag etwas abseits auf dem Boden. Niels trat noch einmal zu. Zweimal. Während Hadi stöhnend am Boden lag, versuchte Niels nach seinen Handschellen zu angeln. Auf der Polizeischule hatte man ihn sowohl in Karate als auch in Jiu-Jitsu unterrichtet, doch das schien alles vergessen zu sein. Wohin? Rosenberg musste schon vor ein paar Minuten angerufen haben. Der Notruf eines Polizeibeamten hatte höchste Priorität, eigentlich sollten die Kollegen längst da sein. Hadi versuchte, zur Pistole zu kriechen. Niels kam ihm zuvor. Er hob sie auf
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