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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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gestoßen.
    Niels registrierte kaum, was geschah. Plötzlich spürte er eine Pistolenmündung an der Schläfe und hörte das beruhigende Klirren von Handschellen.
    »Lass ihn los!«, ertönte eine Stimme. »Der gehört zu uns!«
    Die Pistole verschwand.
    »Wo ist er?«
    Niels verstand nur halbe Sätze. Doch langsam wurde ihm alles klar: Das war der Geheimdienst. Und ein paar Kollegen. Einer von ihnen half Niels auf und entschuldigte sich. Ein anderer rief: »Was zum Henker macht der denn?«
    Niels sah sich um. Abdul Hadi war auf das Gitter geklettert, das um die Plattform herumführte, und saß auf dem Rand, bereit zu springen.
    Hadi starrte Niels in die Augen und warf dann einen Blick in den Abgrund. Er war gekommen, um zu sterben. In seinen Augen war keine Furcht. Er sagte etwas in seiner Muttersprache, das für Niels wie ein Gebet klang. Dann sah er wieder Niels an. »Why did you not shoot?«
    Niels näherte sich dem Gitter. »I cannot«, antwortete er. Abdul Hadi rutschte näher an den Rand.

42.
    42.
    Ospedale Fatebenefratelli, Venedig
    Schwester Magdalena blickte über den Flur, bevor sie ihre Handschuhe anzog. Alles war ruhig und friedlich, die Kranken waren versorgt. Trotzdem hatte sie immer ein schlechtes Gewissen, wenn sie das Hospiz verließ, so dass die anderen sie häufig regelrecht bitten mussten, nach Hause zu gehen. Heute war das nicht anders. Im Gegenteil. Es war schlimmer. Ihrer inneren Stimme folgend, entschloss Magdalena sich, noch einmal kurz nach Signora di Barbara zu sehen.
    Tommasos Mutter sah auf, als Magdalena eintrat.
    »Gehen Sie, Schwester?«
    Magdalena lächelte ihr beruhigend zu, stellte ihre Handtasche ab und zog sich die Handschuhe wieder aus.
    »Ich habe frei, ja. Aber ich habe es nicht eilig.«
    »Ich habe solche Angst.«
    »Die müssen Sie nicht haben. Der Tod ist nur das Ende Ihres irdischen Leidens.«
    »Nicht vor dem Tod. Vor dem habe ich keine Angst«, sagte sie fast beleidigt. Signora di Barbara war eine Frau, zu der man nicht so leicht Zugang fand. Magdalena aber war dies mit der Zeit gelungen, auch wenn ein Tag Pause hin und wieder sehr dabei half.
    »Wovor haben Sie denn Angst?«
    »Dass er die Nachricht nicht erhält. Oder sie vergisst.«
    »Die Nachricht? Über die achtzig Cent?«
    »Ja.«
    »Sie wissen noch immer nicht, was diese achtzig Cent kostet?«
    Signora di Barbara hörte die Frage nicht. »Habe ich eine Tasche?«
    »Ja, die steht hier.«
    »Nehmen Sie meinen Geldbeutel. Legen Sie mir achtzig Cent in die Hand. Dann bin ich sicher, dass ich daran denken werde, es ihm zu sagen, wenn er kommt.«
    Magdalena nahm das Kleingeld heraus. Es waren nicht ganz achtzig Cent, und sie half mit Münzen aus ihrer eigenen Geldbörse aus.
    »Hier«, sagte sie und legte der Alten die achtzig Cent in die Hand. Ihre knochigen Finger klammerten sich entschlossen um die Münzen.
    »Wenn mein Sohn heute Abend kommt, werde ich daran denken. Er kommt doch heute Abend?«
    »Das weiß ich nicht. Vielleicht hat er Dienst.«
    »Nachtdienst? Dann kommt er erst morgen. Aber jetzt habe ich ja die Münzen. Jetzt vergesse ich das nicht mehr.«
    »Ich werde auch daran denken«, sagte Magdalena und streichelte der Alten über die stumpfen, grauen Haare. »Das verspreche ich.«
    Für einen Augenblick sah Signora di Barbara richtig zufrieden aus. Magdalena glaubte sicher daran, dass der alten Frau noch ein paar Wochen blieben. Die meisten hielten bis nach den Festtagen durch – warum, wusste sie nicht. Vielleicht wollten sie einfach noch einmal Weihnachten miterleben.
    Schwester Magdalena machte das Licht aus. Signora di Barbara schob den Arm hoch, bis die Hand auf ihrer Brust lag, und ballte eine Faust.

43.
    43.
    Rundetårn, Kopenhagen Abdul Hadi stand am äußersten Rand des Gebäudes. Wie war er nur hierher geraten? Die dänischen Beamten diskutierten auf der anderen Seite des Gitters, und einer von ihnen zielte mit einer Pistole auf ihn.
    Hadi verstand sie nicht. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen. Hier musste es enden. Ihm war die Gerechtigkeit nicht zuteil geworden, die einzufordern er gekommen war. Warum hatte Allah ihn verlassen? Der Polizist, der mehr als einmal die Chance gehabt hatte, ihn zu erschießen, kletterte über das Gitter zu ihm nach draußen. Er sah ebenso mitgenommen aus wie Hadi. Lächelte dieser Mann ihn sogar an?
    »I will jump«, sagte Abdul Hadi.
    Der dänische Polizist hob beide Hände, damit Hadi sehen konnte, dass er unbewaffnet war. »No gun.«
    Hadi sah nach unten auf

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