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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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der Küche tobte der reinste Krieg. Laute Befehle und wütende Kommentare flogen hin und her. Der Chef – der Einzige, der einen Anzug trug – schien sein Küchenpersonal nach allen Regeln der Kunst auszuschimpfen.
    Niels räusperte sich, doch niemand nahm Notiz von ihm. Dann trat er an den kleinen Tresen vor der Kasse, stellte den Kassettenrekorder ab und sah sich wartend um. Auf dem Fensterbrett standen Plastikpflanzen in Blumentöpfen. An der Wand hingen eine Chinakarte, ein großes Plakat für die Olympischen Spiele in Peking und eine Speisekarte: Nudeln, Bambussprossen, Frühlingsrollen, Rindfleisch Gong Bao. Ein Fernseher lief. Klimakonferenz. Ein groß gewachsener Mann vom Vanuatu Atoll im südlichen Stillen Ozean stand mit Tränen in den Augen am Rednerpult und rechnete mit dem Raubbau der Industrieländer, insbesondere China, am Klima ab. Anscheinend für taube Ohren. Auf jeden Fall wurde in den ersten Reihen eifrig geplaudert. Ein paar finnische Delegierte kicherten. Die meisten im Saal sahen aus, als würden ihnen die Sorgen der Insulaner des Vanuatu Atolls nicht den Schlaf rauben.
    »Die haben es auf uns abgesehen.«
    Niels drehte sich um und betrachtete den älteren Chinesen in dem etwas zu großen Anzug.
    »Immer sind wir die Bösen. Wir, die Chinesen. Immer haben wir an allem Schuld.«
    Er warf Niels einen verbitterten Blick zu. »Wollen Sie einen Tisch?«
    »Polizei Kopenhagen.« Niels zeigte dem Mann seinen Ausweis, aber das Gesicht des Chinesen zeigte keine Regung.
    »Ich brauche jemanden, der mir das hier übersetzen kann.« Niels gab dem Mann keine Zeit nachzudenken, sondern drückte gleich auf den Knopf.
    »Was ist das?«
    »Können Sie mir sagen, was auf diesem Band da gesprochen wird?«
    Sie lauschten. Es handelte sich um ein Telefongespräch. So viel hatte Niels verstanden. Ein Mann, der eine Frau anrief. Vermutlich, um Hilfe zu bekommen. In der Stimme des Mannes war zunehmende Panik zu hören.
    »Verstehen Sie das?«
    »Der Mann hat Schmerzen.«
    »Das höre ich auch. Was sagt er?«
    »Er fragte: ›Was geht hier vor‹? Verstehen Sie?«
    »Nein. Das heißt, ja. Ich verstehe, was Sie sagen, aber nicht, was das bedeuten soll.«
    Er unterbrach Niels. »Spielen Sie es noch einmal ab.«
    Niels spulte zurück. Der Chef rief einen Landsmann herbei. Ein junger Mann näherte sich untertänig. Nach einer Diskussion auf Chinesisch drückte er auf Play.
    »Lauter«, sagte der Chef.
    Niels drehte die Lautstärke hoch, doch der Lärm aus der Küche ließ sich kaum übertönen.
    »Können Sie hören, was gesagt wird?«
    Der junge Mann übersetzte, und der Chef übersetzte wieder ins Dänische. »Er sagt: ›Was geht hier vor? Es ist so still. Mein guter Gott. Was geschieht mit mir? Es ist so still. Die Venus. Und die Milchstraße.‹«
    »Venus und Milchstraße?« Niels spulte das Band zurück und ließ es noch einmal laufen. Es war nicht still auf dem Band. Im Gegenteil. Im Hintergrund läutete eine Glocke, und es waren laute Stimmen und Verkehrslärm zu hören.
    »Da ist doch der totale Lärm. Es ist nicht still. Sind Sie sich sicher?«
    »Vollkommen. Er kommt aus Peking«, sagte der Chef und gab ihm deutlich zu verstehen, dass er dieses uneinträgliche Gespräch langsam leid war.
    »Und er redet von Stille, obgleich im Hintergrund der reinste Lärm zu hören ist?«
    Niels sah den jungen Mann an, der ihm auf unsicherem Dänisch antwortete: »Das stimmt, er sagen: ›Was geht hier vor? Es ist so still. Mein guter Gott. Was geschieht mit mir? Es ist so still. Die Venus. Und die Milchstraße.‹«
    Niels wunderte sich. Warum war es Tommaso so wichtig, dass Niels dieses Band hörte?
    Es ist so still .

51.
    51.
    Zwischen Kapstadt und Khayelitsha – Südafrika
    Die meisten, die einmal in Afrika gewesen waren, sprechen anschließend über das Phänomen, insbesondere all jene, die weit ins Herz des Kontinents vorgedrungen sind. Weg von den Touristen, der Gier und den unausweichlichen Reportage-Teams und ihrer Berichterstattung über das Elend. Das Phänomen hatte mit dem Tod zu tun, mit dem Gefühl, dass man sich mit ihm versöhnte. Im Herzen des Landes, der wahren Wiege der Menschheit, spürte man die Ursprünglichkeit. Auch wenn die Originalfarbe mit der Zeit verblichen war, war hier doch unser Ursprung. Man fühlte es. Die Erde. Das Zuhause bekam mit einem Mal eine neue Bedeutung.
    Als Kathrine das erste Mal in der Savanne gestanden hatte, waren ihr die Tränen gekommen. Sie hatte geweint, wie die endlich

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