Die Auserwählten
passt zusammen. Ich … ich bin müde. Es war ein anstrengender Nachmittag. Lassen Sie uns morgen weiterreden. Sie sind wirklich eine unglaubliche Frau.«
Dann wurde aufgelegt. Hannah lächelte. Natürlich hatte sie Recht. Und klar. Sie war eine unglaubliche Frau.
53.
53.
Carlsberg-Silo, Kopenhagen
Von all den schlechten Einfällen, die Niels im Lauf der Zeit gehabt hatte, war der letzte wirklich der übelste. Kathrine in einen der größten Slums der Welt zu schicken, während sie eigentlich gemeinsam ihre Weihnachtsferien verbringen sollten. Er hatte dreimal mit ihr gesprochen. Sie war wieder zurück, war aber außer sich und konnte das Erlebte nicht mehr vergessen. Irgendwann während ihres letzten Gesprächs hätte er sie am liebsten angeschrien und ihr klipp und klar gesagt, dass sie es war, mit der etwas nicht stimmte. Dass die Welt voller Armut, Tod und Elend sei, und Kathrine dies nur nicht realisiert habe, weil sie sich ausschließlich in Gebäuden mit Designermöbeln und Klimaanlagen aufhielt – ja, dass ihr Universum sich nur aus Oberflächen zusammensetzte. Aus Marmor, Stahl, Kupfer und Aluminium. Eine Welt voller Glamour, die den Verfall, der um sie herum herrschte, einfach ignorierte. Aber natürlich hatte er ihr all das nicht gesagt, sondern sich entschuldigt: »Es tut mir leid – es war wirklich schrecklich, versuch trotzdem ein bisschen zu schlafen.«
Die imaginäre Standpauke kreiste noch durch Niels müden Kopf, als er in die Wohnung trat und spürte, dass jemand hier gewesen war.
Jemand . Er sah sich im Wohnzimmer um. Es war alles wie immer. Der große Raum, der nach Westen zeigte, sah genauso aus, wie er ihn verlassen hatte. Eigentlich war alles unverändert, seit Kathrine ihr gemeinsames Leben vor einer Ewigkeit verlassen hatte. Niels hatte ein seltsames Gefühl im Körper – war ihre Beziehung zu Ende?
Oder war es nur Kathrines Schatten, den er in der Wohnung wahrnahm? Er war müde und erschöpft und irgendwie auch überwältigt davon, dass Hannah das System allem Anschein nach geknackt und alles ausgerechnet hatte. Gern hätte er sie noch einmal angerufen, entschloss sich dann aber, erst einmal etwas zu schlafen.
Die Tür zur Hintertreppe war nur angelehnt.
Dabei war er sich sicher, sie nicht nur geschlossen, sondern auch verriegelt zu haben. Das vergaß er nie. Außerdem benutzte er sie nur selten. Er untersuchte sie gründlich, konnte aber kein Anzeichen dafür entdecken, dass sie gewaltsam aufgebrochen worden war. Die Tür, der Rahmen, das Schloss und die Scharniere sahen aus wie immer. Aber das beruhigte ihn nicht, es nährte nur eine neue Furcht: Hatte sich jemand Zugriff zu seinen Schlüsseln verschafft und sich eine Kopie gemacht? Wer konnte Zugang zu seiner Wohnung haben? Nur Kathrine und er hatten die Schlüssel. Und die Frau, die unter ihnen wohnte. Der Hausmeister? Hatte der einen Generalschlüssel? Niels zweifelte sehr daran. War seine Furcht begründet, musste sich jemand seinen oder Kathrines Schlüssel beschafft und eine Kopie gefertigt haben.
Der einzige Ort, an dem Niels seine Schlüssel manchmal offen liegen ließ, war bei der Arbeit. Konnte jemand aus dem Präsidium sich seinen Schlüssel genommen, eine Kopie gemacht und ihn dann wieder zurückgelegt haben? Der Gedanke kam ihm reichlich absurd vor. Wer sollte so etwas tun? Und warum?
Niels ging nach draußen auf die Hintertreppe und schaltete das Licht ein. Er hörte Schritte auf der Treppe.
»Wer ist da?«
Keine Antwort.
»Hallo?«
Leichte, kaum hörbare Schritte verschwanden über die Treppe nach unten. Dann fiel eine Tür ins Schloss. Niels rannte zu dem kleinen Fenster und sah nach draußen. Vielleicht sah er den Schatten einer dunklen Gestalt, die aus dem Haus lief. Vielleicht waren es aber auch nur die Lichter der Brauerei, die ihre langen Schatten warfen.
Das Licht auf der Hintertreppe erlosch.
54.
54.
Flughafen Kastrup, Kopenhagen
Es war ein eiskalter Morgen. Der sogenannte Chill-Faktor – das Kältegefühl – hervorgerufen von dem beißend kalten Wind, maß etwa zwanzig Grad minus. Air Force One landete präzise um neun Uhr, und bereits wenige Sekunden danach öffnete sich die Tür neben dem Wappen des Präsidenten. Obama stieg aus dem Flugzeug und ging über die Treppe nach unten. Sein sonst so entschiedener Blick wirkte besorgt. Ein Rest Zweifel. Der mächtigste Mann der Welt wurde ohne allen Pomp empfangen. Nach einer kurzen Begrüßung durch die amerikanische Botschafterin, Laurie S.
Weitere Kostenlose Bücher