Die Ausgelieferten
Chef des Zuchthauses von Ventspils gemacht: es gibt also eine gewisse Parallele zur Geschichte Oscars Recis, der zu dieser Zeit ja stellvertretender Chef desselben Zuchthauses war. Im Mai 1945 floh Peteris Ziemelis nach Schweden. Sein letzter Dienstgrad war, diesen Quellen zufolge, der eines SD-Untersturmführers.
Ziemelis und Recis wurden in einem Prozess abgeurteilt: das Material ist sehr umfangreich; es wurden 162 Zeugen gehört. Die genannten Angaben stammen aus der Zusammenfassung, die der Urteilsverkündung vorausging.
Peteris Ziemelis wurde zum Tod verurteilt. Er ist der einzige der Ausgelieferten, der nachweislich zum Tod verurteilt worden ist. Es ist möglich, dass noch einige wenige andere Todesurteile ausgesprochen worden sind, aber dies ist das einzige, das als absolut sicher gelten kann, weil es durch sowjetische Prozessakten bekräftigt wird.
Wurde das Todesurteil vollstreckt?
Darüber geben die Akten keine Auskunft. Der lettische Historiker, von dem die Angaben stammen, stellte nur fest, dass ein Todesurteil verkündet worden war und dass sich weitere Angaben in den Akten nicht fanden. Es ist aber wahrscheinlich, dass Ziemelis hingerichtet wurde.
Aber.
Bei einem Gespräch im September 1967 behauptet der lettische Leutnant L.P., noch 1964 mit Peteris Ziemelis korrespondiert zu haben. Dieser soll sich damals in irgendeinem Arbeitslager der Sowjetunion befunden haben. Er soll in seinen Briefen angegeben haben, dass man ihn zwar zum Tod verurteilt habe, dass die Strafe aber in eine fünfundzwanzigjährige Haftstrafe umgewandelt worden sei. In eine Haftstrafe also, die offenbar nicht verkürzt werden konnte.
Nach dieser Version, der Glauben zu schenken aus bestimmten Gründen durchaus zulässig ist, ist Ziemelis also der letzte der ausgelieferten Legionäre, der noch eine Strafe absitzt. Seine Haftzeit wird 1972 zu Ende sein. Dann sollte auch er freigelassen werden.
Wurden noch weitere Todesurteile ausgesprochen?
Es ist möglich, dass Ernests Kessels, der 1962 nach Verbüßung einer langen Haftstrafe in Freiheit starb, ursprünglich zum Tod verurteilt worden ist. Das wird von lettisch-schwedischer Seite behauptet. Diese Angaben erscheinen dem Untersucher jedoch weniger glaubhaft: es ist wahrscheinlicher, dass man ihn zu einer Strafarbeit von zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren verurteilt hat und vorzeitig entließ. Die Informationen, die der Untersucher erhielt und die zum Teil sehr unklar und diffus waren, deuten darauf hin.
Man kann ferner feststellen: es ist unwahrscheinlich, dass gegen Letten weitere Todesurteile ausgesprochen worden sind. Kein Todesurteil scheint vollstreckt worden zu sein. Da Peteris Ziemelis, Oscars Recis, Karlis Gailitis und Ernests Kessels nicht hingerichtet worden sind, ist es höchst unwahrscheinlich, dass andere Angehörige dieser ausgelieferten Gruppe hingerichtet wurden.
Kann man diesen Archivangaben glauben? Sah der Lebenslauf des Peteris Ziemelis wirklich so aus?
In Daugavpils hat es tatsächlich ein jüdisches Ghetto gegeben, das im November und Dezember 1941 vernichtet wurde. Insoweit kann die Geschichte geprüft werden. Der Angeklagte kann nicht zu Wort kommen, die Fragezeichen müssen also bleiben. Als er nach Gotland kam, teilte er den schwedischen Behörden kurz und bündig mit, dass er »als SS-Offizier in Ventspils« gedient habe. Dieses kleine Mosaiksteinchen ist damit auch gesichert. Bei der individuellen Untersuchung aber, die von den schwedischen Behörden am 25. November 1945 vorgenommen wurde, nachdem im Reichstag eine entsprechende Forderung erhoben worden war, machte Peteris Ziemelis ganz andere Angaben. In den Akten steht unter seinem Namen: »Ziviler Pass. Ist lettischer Offz. Zur deutschen Wehrmacht zwangseingezogen. Desertiert. Kein deutscher Militärdienst. Kam in lettischer Uniform nach Schweden.«
Er hatte also seine Angaben inzwischen korrigiert.
Sein Kamerad Oscars Recis machte bei dieser Gelegenheit folgende Angaben: »Lettischer Offz. Zur deutschen Wehrmacht zwangseingezogen. Desertiert. Kein deutscher Militärdienst, dagegen Arbeit als Müller für die deutschen Militärbehörden. Floh von Kurland nach Gotland; trug bei der Ankunft Offz.-Mantel.«
Wie hätten die schwedischen Behörden handeln sollen?
Während des Winters 1966/ 67 stellte der Untersucher bei Seiner Majestät dem König den Antrag, das geheime Material über die Auslieferung der Balten einsehen zu dürfen. Diese Dokumente befanden sich zum Teil im Außenministerium,
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