Die Ausgelieferten
von den Russen deportiert. Wenn das stimmte – welche Konsequenzen hatte das in bezug auf das Verhältnis Lapas zum Kommunismus? Welche Angaben über sich selbst hat er bei den Schweden zu Protokoll gegeben? Am 25. November 1945: »Oscars Lapa. Geb. am 19.6.1904. Zivil-Pass Nr. BZ 017664, ausgestellt von der Meldebehörde in Liepaja am 10. Januar 1929. Adoptivsohn Lapas, leiblicher Vater der Kaufmann Otto Petterson aus Cesvani, Livland. Sagt, dass Apotheker nicht hätten eingezogen werden dürfen, zeigt die Abschrift eines Diploms der Universität Lettlands in Riga, die ihn als Magister der Pharmazie ausweist.« Aber was ist in den zwei Jahren in Viktor Arajs Kommando geschehen?
Schlussaddition. Von den hundertdreißig Letten scheinen etwa fünfundzwanzig bis dreißig bestraft worden zu sein. Aber: noch im März 1968 schrieb einer der – selbst verurteilten – Legionäre in einem Brief an den Untersucher, dass »von unserer Gruppe, also von den ausgelieferten Letten, etwa fünfzehn Mann bestraft worden sind. Die meisten haben während der Besatzungszeit in Polizeiverbänden gedient«. Der Briefschreiber hatte während des Winters einige Untersuchungen auf eigene Faust angestellt und mit mehreren der Ausgelieferten gesprochen, sowohl in Riga wie in der Provinz. Er hatte unter anderem versucht, mit Peteris Ziemelis und Oscars Recis Verbindung aufzunehmen, aber ohne Erfolg. Die Zahl der verurteilten Letten schwankt also vermutlich zwischen fünfzehn und dreißig: präzisere Angaben existieren bis heute nicht. Von den sieben Esten wurde einer verurteilt. Von den neun Litauern wie viele? Sechs von ihnen waren Offiziere gewesen, einer Arzt und zwei Unteroffiziere, sie gehörten nicht zur Danzig-Bornholm-Gruppe, man muss davon ausgehen, dass die Zahl der Bestraften unter ihnen sehr hoch ist, dass sie unter Umständen hundert Prozent beträgt. Dass einige vor Gericht gestellt und abgeurteilt wurden, ist erwiesen, zum Beispiel Lengvelis, Langys und Jancys. Die wahrscheinliche Höchstzahl der Verurteilten wäre also 30 plus 1 plus 9 = 40 Mann; die Mindestzahl 18 plus 1 plus 9, also 28. Es ist also durchaus berechtigt, wenn man annimmt, dass ungefähr fünfunddreißig der hundertsechsundvierzig ausgelieferten Balten verurteilt worden sind.
Man mag gegen diese Zahlen Einwendungen erheben, aber so weit ist der Untersucher bei seinen Recherchen gekommen. Ungefähr fünfunddreißig von hundertsechsundvierzig Ausgelieferten wurden bestraft.
Hingerichtet wurde keiner.
Eins der Lager lag in Workuta, in der Nähe einer Stadt gleichen Namens. Es war ein Lager, das sich über ein großes Gebiet erstreckte, es umringte eine Stadt, die am Fuß des Urals lag. An manchen klaren Tagen konnten sie am Horizont die Berge sehen. In dieser Gegend gab es große Kohlenlager. Zwei Flüsse durchzogen dieses Gebiet, Petschora und Workuta. Das Lager war eigentlich nicht eins, es bestand aus mehreren kleinen Lagern, die in der Nähe der Kohlengruben und der Industriebetriebe lagen. Die Arbeiter wohnten in Holzbaracken, äußerst beengt, die hygienischen Verhältnisse waren schlecht. Sie waren ohne Hoffnung. Während der ersten Nachkriegsjahre war das Essen miserabel, und jede Kleinigkeit wurde vom Kampf ums Überleben geprägt. Allmählich verbesserten sich die Lebensbedingungen, aber die meisten derer, die in diesem Lager gesessen haben, sprechen mit Abscheu über die ersten Jahre: sie waren in mancher Hinsicht unerträglich. Es wurde in drei Schichten gearbeitet, der Arbeitstag hatte acht Stunden, aber der Weg zur Arbeit und der Heimweg wurden nicht mitgerechnet. Im Winter war die Kälte fürchterlich; wer in einer Grube arbeitete, war während des Winters im Vorteil, weil die Temperaturen dort unten erträglicher waren. Es konnten aber nicht alle in den Bergwerken arbeiten, und wer im Freien arbeitete, war ständig von Erfrierungen bedroht. Die Löhne? Sie waren unbedeutend, aber es wurde wenigstens etwas gezahlt. Die Zahl schwankte zwischen 50 und 150 Rubel im Monat, und ein Rubel war damals erheblich weniger wert als heute.
Dorthin, nach Workuta, kamen auch einige der Legionäre. Einer von ihnen, L.B., sollte acht lange Jahre dort bleiben.
Die ersten Jahre waren die schlimmsten; damals ging es nur ums nackte Überleben. Während der frühen fünfziger Jahre kamen allmählich kleine Verbesserungen, und nach Stalins Tod trat ein radikaler Umschwung ein. Zum erstenmal konnte man jetzt in den Speisesälen Essensreste stehen sehen,
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