Die Ausgelieferten
Miene sagt, dass dies eine unmögliche Frage ist, die man unmöglich beantworten kann. Er gebraucht oft das Wort »demütigend«. Die Behandlung in Schweden sei äußerst korrekt, aber demütigend gewesen. Während der ersten Zeit habe man sie sehr zuvorkommend behandelt, aber später, im Spätherbst und im Winter, hätten sie sich wie Verbrecher gefühlt. Er betont besonders die Haltung der schwedischen Ärzte, die er als eiskalt, hart, voller Verachtung, aber formell korrekt in Erinnerung hat. Er sagt, er hätte von Kollegen mehr erwartet.
– Während der letzten Monate war alles demütigend. Wir wurden auf verschiedene Lager verteilt, man schubste uns herum, als wären wir Kinder oder ein Haufen Idioten. Was wir auch sagten oder taten, es wurde alles nicht beachtet.
Er hat ein langes, asketisches, aber zugleich offenes Gesicht. Er macht einen intellektuellen, sehr vitalen Eindruck. Er ist korrekt und manchmal sehr aufgeschlossen. Das Wort »demütigend« kommt noch einige Male vor.
Nach zwei Stunden entgleist das Gespräch: sie kommen auf Operationsmöglichkeiten bei Magengeschwüren zu sprechen. Der Notizblock füllt sich nach und nach mit Skizzen. Slaidins ist Nichtraucher. Über das Schicksal der anderen weiß er nicht sehr viel. Er hat kaum Kontakt mit ihnen.
Dass Oberstleutnant Gailitis verurteilt werden würde, war allen klar: sie alle kannten seine engen Beziehungen zu den Deutschen und seine Funktion in Stutthof. In der Urteilsbegründung findet sich auch ein Passus, dem zufolge er auch »Kommandeur eines Polizeibataillons« gewesen sein soll. Nach nichtoffiziellen Angaben soll er 1956 freigelassen worden sein. Die Rückkehr nach Lettland wurde ihm erst 1961 erlaubt.
Er starb in Freiheit, am 14. Juli 1966. Über seinen Tod sind viele Gerüchte im Umlauf – einige behaupten, er habe Selbstmord begangen, die Einsamkeit habe ihm so zugesetzt, dass er schließlich den Freitod wählte.
Das ist nur ein Teil der ganzen Wahrheit. Im Herbst 1965 wurde Gailitis in ein Rigaer Krankenhaus eingeliefert. Er fühlte sich krank und sollte untersucht werden. Einer der Ärzte, die ihn untersuchten, war Janis Slaidins. Sie erkannten einander wieder. Gailitis war offensichtlich schwer krank, man stellte Krebs fest. Er hatte es nicht gewusst. Der Krebs hatte bereits viele Metastasen, an eine Operation war nicht mehr zu denken. Sie unterhielten sich kurz miteinander, erörterten aber nicht die gemeinsamen Erlebnisse in Schweden. Gailitis starb im Juli 1966.
Die Prozesse?
Nachdem er von einem Arbeitslager zurückgekehrt war, begegnete er Mitte der fünfziger Jahre auf einer Straße in Riga einem Bekannten aus der Zeit in Schweden, mit dem er die Ereignisse der Nachkriegszeit diskutierte. Der Legionär – nennen wir ihn K. – wurde im März 1947 verhaftet und angeklagt, einem Polizeibataillon angehört zu haben, das sich Grausamkeiten gegen die Zivilbevölkerung und »Säuberungsaktionen« auf dem Land hatte zuschulden kommen lassen. »Die Zeugen logen furchtbar, übertrieben alles.« Nachdem Beweismaterial vorgelegt worden war, erklärte K. sich für unschuldig, oder, in den Fällen, in denen das Material ein Körnchen Wahrheit enthielt, für entschuldigt, weil er zwangsrekrutiert worden sei und nur Befehlen gehorcht habe. »Ich hatte aber keine Chance. Die Richter und Geschworenen waren von vornherein von meiner Schuld überzeugt, und zum Schluss stellte sich sogar mein eigener Verteidiger hin und sagte, ich sei offensichtlich schuldig. Was sagen Sie zu so einem Prozess! Was für eine Verhandlung! Mein eigener Verteidiger!«
Augusts Dupurs, Leutnant, 1916 geboren, nicht bestraft. »1947 wurden einige der Ausgelieferten von neuem verhaftet, und ich wurde einmal zu einer Verhandlung geladen, bei der ich gegen einen ehemaligen Kameraden aussagen sollte. Er war wegen einiger Kriegsverbrechen angeklagt, ich weiß nicht mehr, worum es ging. Ich sollte erzählen, wie es in Schweden gewesen war, und das tat ich auch. Von der Verhandlung habe ich kaum etwas behalten. Ich weiß nur noch, dass da ein Richter und ein paar Geschworene saßen. Das ist alles, woran ich mich erinnere. Ich machte meine Aussage und ging dann gleich nach Hause.« War die Verhandlung korrekt? »Das kann ich nicht beurteilen. Ich wurde hereingeführt, machte meine Aussage über die Zeit in Schweden und ging dann direkt nach Hause.« War die Verhandlung öffentlich? »Ja, das muss sie gewesen sein, denn im Saal saßen mehrere, die ich kannte. Sie saßen
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