Die Ausgelieferten
Tür und setzten sich an verschiedene Tische. Über diese Sache sprachen sie nie mehr miteinander. Es war Juni, die Auslieferung der Balten war beschlossene Sache. Sie sollten sich erst im Herbst wieder an diese Frage erinnern, nach dem Abtreten der Koalitionsregierung und dem Amtsantritt des rein sozialdemokratischen Kabinetts. Sie hatten einen langen Sommer vor sich, um alles zu vergessen.
Anwesender Minister, Zitat. »Das Problem für alle ehemaligen Mitglieder der Koalitionsregierung bestand später darin, für dieses Geschehen eine einigermaßen glaubwürdige Erklärung zu finden. Für die Sozialdemokraten war es vielleicht ein wenig leichter: sie konnten einfach sagen, der Beschluss sei korrekt und rechtens. Um die Bürgerlichen war es schlimmer bestellt. Sie fühlten sich durch den Juni-Beschluss festgelegt, und dieses Gefühl prägte die gesamte spätere Debatte; es bewirkte, dass die Frage keine rein parteipolitische, sondern allgemein-politisch wurde. Einige der Bürgerlichen schienen sich zu schämen und vermieden es, überhaupt über die Auslieferung zu sprechen. Es ist wohl leicht zuzugeben, dass man sich in seinem Urteil geirrt hat: aber zuzugeben, dass man eine Sache völlig verschlafen hat oder am Kern der Sache vorbeigegangen ist, dürfte nicht ganz einfach sein.«
Der Ministerrat gab am 15. Juni 1945 sein endgültiges Plazet zu der Auslieferung, und am folgenden Tag beantwortete die schwedische Regierung die sowjetrussische Note. Die Erwiderung hatte folgenden Wortlaut:
»In einer Verbalnote vom 2. Juni 1945 hat die Gesandtschaft der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken im Auftrag ihrer Regierung vorgeschlagen, alle deutschen (und alle früher unter deutschem Befehl stehenden) Soldaten, Offiziere und anderes Militärpersonal, die nach der in Berlin am 8. Mai 1945 erfolgten Unterzeichnung der deutschen Kapitulationsurkunde von der sowjetisch-deutschen Front nach Schweden geflohen sind, an die Sowjetregierung auszuliefern.
In Beantwortung dieser Frage erlaubt sich das Königl. Schwedische Außenministerium mitzuteilen, dass die schwedische Regierung bereit ist, die genannten Personen unser Land verlassen zu lassen. Der Verteidigungsstab ist beauftragt worden, wegen der Modalitäten der Abreise und der Übergabe mit der Gesandtschaft in Verbindung zu treten. Es sei noch erwähnt, dass sich unter den genannten Personen auch solche befinden, die schon vor der Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde nach Schweden gekommen sind.
Diese Mitteilung schließt natürlich auch die Zusicherung ein – wonach in der Note der Gesandtschaft besonders gefragt wurde –, dass die schwedische Regierung den genannten Personen kein Asyl gewähren wird.«
Man kann feststellen: die russische Note enthielt nur eine Anfrage und kein direktes Auslieferungsbegehren. Die Kapitulationsurkunde enthielt einen Passus, wonach die deutschen Streitkräfte in ihren Stellungen verbleiben und sich entwaffnen lassen sollten. In der Note wurde auf diesen Passus hingewiesen. Sie enthielt also zwei Anfragen. Erstens, ob Schweden sich an die Bestimmungen des Waffenstillstandsabkommens halten wolle. Zweitens, ob Schweden so handeln wolle, als wäre es vertraglich vereinbart, dass die Deutschen, die ihre Stellungen verlassen hatten, zurückgeschickt werden.
Die schwedische Antwort ging weit über das hinaus, wonach die Russen in ihrer Note vorsichtig gefragt hatten. Die Anfrage betraf diejenigen Soldaten, die nach der Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde von der Front geflohen waren. Diese Urkunde wurde am 8. Mai 1945 um 00.16 Uhr mitteleuropäischer Zeit unterzeichnet. Die Mehrzahl der Balten war am Morgen des 8. Mai um 10 Uhr nach Ystad gekommen, und sie hatten die »Front«, in diesem Fall Bornholm, fünf bis sieben Stunden vorher verlassen. Sie waren weder die Ersten noch die Letzten gewesen, der Strom der Flüchtlinge verteilte sich auf den Zeitraum zwischen dem 4. und dem 15. Mai.
Diese Tatsache spielte später niemals eine Rolle: die schwedische Regierung erklärte direkt, dass sie auch diejenigen auszuliefern gedenke, die vor dem 8. Mai nach Schweden gekommen waren. Am 24. November präzisierte die Regierung sich noch genauer und setzte die Grenze auf den 1. Mai zurück.
Am 3. Juli 1945 erhielt der Militärattaché der Sowjetunion genaue Angaben über die Zahl der auszuliefernden Soldaten. Unter ihnen befanden sich alle, die von der Ostfront nach Schweden gekommen waren, auch die 167 Balten.
Nach dem endgültigen
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