Die Ausgelieferten
auf den Tisch gestellt, zwei Gläser dazu, und dann begannen sie zu trinken. Dann kamen die Entschuldigungen, warum das Schiff noch nicht abgegangen war, warum die Russen sich Zeit ließen. Die Bitten, sie möchten sich beeilen. Die Beteuerungen.
Er erinnert sich noch sehr genau an den Heimweg von diesen Zusammenkünften. Er pflegte durch den Humlegården nach Östermalm zu gehen, der Sommer war schon weit fortgeschritten, das Wetter oft schön, Sonne und Kindergeschrei, spielende Kinder. Er spürte den Wein im Kopf, der erste Friedenssommer, er ging von der russischen Gesandtschaft nach Hause und nahm den Weg durch den Humlegården. Dieses Bild steht ihm noch am deutlichsten vor Augen: wie er durch den Humlegården ging, wie schön es dort war mit den spielenden Kindern und dem leisen und dumpfen Singen im Kopf.
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S ie wurden in Zehnergruppen zum Torfmoor von Martebo zurückgeschickt; sie trugen jetzt schwedische Uniformen, die sie während ihrer gesamten Zeit dort tragen sollten. Für einige von ihnen hatte die Angewohnheit, ständig die Uniformen zu wechseln, schon den Charakter eines Steckenpferds angenommen, und sie registrierten mit Interesse diese neue Phase in ihrer militärischen Karriere. Drei von ihnen hatten in den letzten sieben Jahren die Uniform von vier Armeen getragen. Zuerst die lettische. Dann, im Herbst 1940, die russische. Dann die deutsche. Dann die schwedische.
Wie auch immer: jetzt mussten sie arbeiten. Die schwedischen Arbeiter verhielten sich ruhig. Die Gegensätze wurden unter Kontrolle gehalten.
Der Juli war im übrigen recht ereignislos. Die meiste Zeit wurde gearbeitet, und in ihrer Freizeit konnten sie kaum etwas anderes tun als vor den Baracken sitzen und über die gotländische Ebene hinaussehen und rauchen. Sie verglichen diese Zeit mit dem Aufenthalt in Havdhem, wo es zwar oft zu Krach und Krawall gekommen, insgesamt aber doch interessanter gewesen war. Abends saßen sie im Gras und sahen, wie die staubige, gelbrote Sonne sich auf die Torfmoore herabsenkte; es gab nicht mehr viel, worüber sie sich hätten unterhalten können. Sie hatten das leise Gefühl, verbannt zu sein, als hätte man sie zu Zwangsarbeit verurteilt. Es war ihnen klar, dass die Deutschen in Havdhem keinen großen Wert auf ihre Rückkehr legten: die Konflikte würden wiederaufflammen. Mitunter drangen Gerüchte nach Martebo: die Deutschen sollten Delegationen zum Lagerkommandanten geschickt und verlangt haben, die Balten in Martebo zu lassen. Sie bezweifelten den Wahrheitsgehalt dieser Gerüchte keine Sekunde, aber einige von ihnen fühlten sich verletzt.
Am 13. August kamen zwei Franzosen nach Martebo, um nach Landsleuten im Exil zu suchen. Hier fanden sie keine, nur in Havdhem hatten sie zwei angetroffen.
– Jetzt fangen sie an, stellte Eichfuss prophetisch fest. Erst kommen die Franzosen, um ihre Überläufer abzuholen und sie vor ein Kriegsgericht zu stellen. Dann kommen alle anderen. Zuletzt der Russe. Er wird alle Balten abholen, sie auf dem Kai in Riga Aufstellung nehmen lassen und dann alle erschießen. Wenn einer kommt, kommen alle. Jetzt können wir nur noch warten.
Als sie aber nach Havdhem kamen, waren die Franzosen noch da; sie waren nicht ausgeliefert worden. Es sollte noch bis zum 8. September dauern mit der Auslieferung. Man brachte sie nach Stockholm, und von dort wurden sie unter Bewachung mit der Bahn nach Frankreich transportiert.
Das geschah aber erst sehr viel später. Am 21. August durften die Balten nach Havdhem zurückkehren, wo man sie in einem sorgsam abgeschirmten Sonderlager unterbrachte.
Der Rest der Lagerzeit spiegelt sich in Briefen, Tagebüchern, Journalen nur fragmentarisch. 24. August: Herr Hellman vom Roten Kreuz besuchte das Lager von 9.30 bis 17 Uhr. Um 10.45 Uhr hielt er vor sämtlichen internierten Offizieren eine Ansprache. Um 18 Uhr Fußballspiel zwischen den Insassen und einer Mannschaft der Wachkompanie. Die Internierten siegten 7:0. Hellman hatte die Internierten über ihre rechtliche Stellung und ihre Zukunftsaussichten informiert. Unter anderem hatte er einige Passagen aus den Kapitulationsbestimmungen vorgelesen, »was bei einigen starke Unruhe hervorrief«. Am 26. August begannen die Fluchtversuche; im Lagertagebuch steht eine lakonische Bemerkung: »Hellmans Einfluss«. Der 27. August wurde der Reparatur und der weiteren Befestigung der Lagerzäune gewidmet, wobei die Internierten gute Arbeit leisteten. Am 30. August sind die um das Lager herum
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