Die Ausgelieferten
Beschluss wurde die Sache zu den Geheimakten gelegt. Das politische Geschehen war beendet, jetzt durfte die Verwaltung den Rest erledigen. Die Verwaltung musste unter anderem darauf achten, dass nichts an die Öffentlichkeit durchsickerte, dass in den Lagern keine Unruhe entstand, dass der zeitliche Abstand zwischen Beschluss und Auslieferung möglichst kurz gehalten wurde. Die Unterhaltung der Lager kostete schließlich große Summen, die der schwedische Staat bezahlen musste.
Am 2. Mai 1945 erhielt Oberstleutnant Nils Leuhusen den Befehl, eine provisorische Dienststelle für die mit den Internierten zusammenhängenden Fragen zu organisieren, deren Chef er sein sollte. Er hatte früher im Verteidigungsstab gearbeitet. Mit den Russen über praktische und technische Details zu verhandeln, war jetzt hauptsächlich seine Aufgabe: die Verhandlungen wegen der Modalitäten, wie es in der Note geheißen hatte.
Auf russischer Seite hatte man für die Verhandlungen den Marineattaché Slepenkov abgestellt. Er kann selbst nicht zu Wort kommen, er kann nur so dargestellt werden, wie die schwedischen Militärs ihn sahen. Offiziere pflegten untereinander zu bezweifeln, dass er Seeoffizier war: seine Kenntnisse in Marineangelegenheiten erschienen ihnen recht dürftig. »Er war unerhört tölpelhaft, kreuzte im Verteidigungsstab auf, ohne sich angemeldet zu haben. Wir hatten damals zwar eine weniger scharfe Bewachung als heute, aber immerhin. Ungewöhnlich unangenehmer Typ.«
Von dem Tag an, da die Militärbehörden die Verantwortung für die Modalitäten übernommen hatten, wurde von schwedischer Seite hart gearbeitet, um die Auslieferung zu beschleunigen. Die Aufgabe der Bewachung in den Lagern war nicht sehr populär, und man wollte die Geschichte so schnell wie möglich aus der Welt schaffen. Leuhusen war praktisch jeden Tag in der russischen Gesandtschaft in der Villagatan und versuchte, Slepenkov dahin zu bringen, möglichst schnell für Transportmöglichkeiten zu sorgen und seine Vorgesetzten zur Entsendung eines Schiffs zu bewegen.
Aber die Russen schienen nicht sonderlich interessiert zu sein, eher unangenehm berührt. Sie hatten in einer Note höflich angefragt, sofort eine positive Antwort erhalten, die weit über das hinausging, was sie erwartet hatten, und wurden jetzt mit Forderungen überhäuft, Schiffe herbeizuschaffen, um fast dreitausend deutsche Kriegsgefangene über die Ostsee zu transportieren. In Norwegen befanden sich zur selben Zeit zwanzigtausend Deutsche, die auf ihren Transport in die Sowjetunion warteten, aber Slepenkov und seine Vorgesetzten ließen sich schließlich doch überreden, dem schwedischen Kontingent Vorrang zu geben.
Sie schickten ein Schiff von Murmansk.
Gegen Ende des Sommers machte in politischen Kreisen ein Gerücht die Runde, die Auslieferung werde nicht zustande kommen. »Die Russen wollten die Internierten nicht haben, vielleicht hatten sie auch keine Transportmöglichkeiten.« Das stimmte nur zum Teil. Es gelang den Russen schließlich doch noch, Schiffsraum bereitzustellen, und sie gaben Schweden Priorität, um endlich Ruhe zu haben.
Von den norwegischen Behörden hatten die Schweden Auskunft über die Position des Schiffes verlangt. Die Russen selbst wussten nicht, wo es sich befand, sie wussten nur, dass es ausgelaufen war und bald ankommen musste. Von norwegischen Küstenstationen kamen fortlaufend Meldungen; das Schiff befand sich auf dem Weg nach Süden. Bei der Ankunft im Öresund sollte die Evakuierung der Lager begonnen und rasch, wie ein Überfall, durchgeführt werden.
Das Schiff hieß »Cuban«.
Nils Leuhusen war nur ein ausführendes Organ, über den politischen Hintergrund weiß er nichts; er erinnert sich nur daran, wie unerhört mühevoll es war, die Russen dazu zu bringen, zu kommen und ihre Gefangenen abzuholen. Er deutet eine klare Meinungsverschiedenheit zwischen dem Außenministerium und dem Verteidigungsstab an, die sich vor allem in den Krisenwochen des November äußerte. »Sie wehrten sich mit Händen und Füßen, wollten nichts mit der Geschichte zu tun haben. Die Verantwortung wollten sie auf das Militär abwälzen.« Er beschreibt das Zimmer, in dem er mit Slepenkov konferierte: ein Raum in der russischen Gesandtschaft, immer die gleichen Gespräche, die gleichen Fragen, die gleiche Trägheit, die gleichen Antworten. In einer Ecke des Zimmers stand ein Schrank. Auf dem Schrank stand eine Flasche Madeira. Bei jedem Besuch wurde die verdammte Flasche
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