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Die Ausgelieferten

Die Ausgelieferten

Titel: Die Ausgelieferten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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Widerstandsbewegung entstanden; kleinere Partisanengruppen versuchten unablässig, die deutschen Verbindungslinien zur Front zu sabotieren. Mit diesen Landsleuten nahm Lengvelis jedoch keinen Kontakt auf. Er schloss sich der sogenannten »Abteilung der 3000«, dem »Litauischen Landesschutzverband« an, einem litauischen Polizeiverband.
    Das Endziel des deutschen Angriffs im Osten war, SS-Chef Himmler zufolge, die Völker des Ostens, Russen, Esten, Letten, Litauer, Weißrussen, Ukrainer und andere, niederzuzwingen, »die rassisch Wertvollen aus dieser Sammlung herauszufischen« und die übrigen Bevölkerungsteile dahinsiechen oder allmählich aussterben zu lassen. Himmler schrieb: »Die Bevölkerung des Generalgouvernements wird nach einer konsequenten und unerbittlichen Durchführung dieser Maßnahmen in den nächsten zehn Jahren ein für immer minderwertiger Volksstamm sein. Diese Bevölkerung wird als ein Volk ohne Führung für jährliche Saisonarbeit in Deutschland zur Verfügung stehen.« Für die minderwertigen nichtarischen Elemente sollte eine vierjährige Volksschule eingeführt werden, in der ihnen vor allem Gehorsam den Deutschen gegenüber beizubringen sei. »Sie das Lesen zu lehren, halte ich nicht für notwendig«, schrieb Himmler weiter.
    Um eine totale Unterwerfung und einen hohen Wirkungsgrad der geplanten Maßnahmen zu erreichen, war es jedoch nötig, alle Widerstandselemente auszumerzen, alle Juden sowie die gesamte Intelligenz. Dabei sollten die SS-Truppen ihre wichtige und bedeutungsvolle Rolle spielen. Es wurden sogenannte »Einsatzgruppen« geschaffen, die sich hinter der Front als Vernichtungsgruppen betätigten. Von Estland im Norden bis nach Polen im Süden zeigten die SS-Truppen eine außerordentliche Effektivität. Selbst kleine Einsatzgruppen erreichten hohe Erfolgsziffern; schon im Herbst 1941 hatte die Einsatzgruppe A, die aus einigen hundert Mann bestand, 249.420 Liquidierungen zu verzeichnen. Die anderen Gruppen erreichten ähnlich gute Ergebnisse.
    Leider war es jedoch nicht möglich, während der Vernichtungsaktionen die wünschenswerte Diskretion zu wahren; die Form, in der die unerwünschten Elemente liquidiert wurden (und das waren nicht wenige, allein in Polen wurden mehr als dreieinhalb Millionen Menschen umgebracht), ließ ebenfalls einiges zu wünschen übrig. Die regulären deutschen Wehrmachtstruppen, die das hinter ihnen betriebene Schlachten unvermeidlich mit ansehen mussten, erregten sich vor allem über die Art und Weise, in der Frauen und Kinder umgebracht wurden. Die Völker selbst, also Balten, Polen und Weißrussen, wurden angesichts der endlosen Blutbäder von wildem Schrecken ergriffen; viele Menschen flohen in die Wälder, es bildeten sich Widerstandsgruppen, die Unruhe wuchs.
    Vincas Lengvelis wurde Offizier in einem jener Polizeiverbände, die hinter der Front diese Widerstandsnester zu bekämpfen, zu vernichten hatten. Seine Aufgabe bestand darin, die Partisanenverbände aufzureiben, die die Eisenbahnzüge zwischen Siauliai und Taurage überfielen; er wurde Chef mehrerer Kontrollpunkte. Die Widerständler bezeichnet er als »national und rot«, schweigt sich im übrigen aber über den genauen Charakter seiner Säuberungsaufgaben aus. Man könnte auch einwenden, die litauischen Gruppen seien nicht ausschließlich »rot« gewesen; es ist zu vermuten, dass sie sich aus vielen Fraktionen zusammensetzten, die sich allein in ihrem gemeinsamen Hass gegen die Deutschen zusammenfanden. Lengvelis, selbst Litauer, dessen Ortskenntnisse ausgezeichnet gewesen sein müssen und dessen Muttersprache Litauisch war, besaß damit alle Voraussetzungen, um seine Aufgaben wirksam zu lösen. Nach einem kurzen Erholungsurlaub in Deutschland kehrte er im Winter 1944 in den nördlichen Teil Litauens zurück und führte dort hinter der Front eine Reihe erfolgreicher Aktionen gegen die Partisanen durch. Leider finden sich nirgends Details von diesen Aktionen. Im Frühjahr 1945 wurde er von den Deutschen zum Oberleutnant befördert, nachdem er kurze Zeit an der Front gedient hatte.
    Am 9. Mai um sechs Uhr morgens floh er in einem lettischen Fischdampfer von dem kleinen Fischereihafen Pavel. Man nahm Kurs auf Gotland. An Bord war eine Gruppe baltischer Offiziere in deutschen Diensten: Major Ambraziunas, Leutnant Jancys, Oberleutnant Plevokas, Leutnant Vosylius, Fahnenjunker Ingelevicius, Unteroffizier Dranseika und der Bataillonsarzt Zenkevicius.
    Die Überfahrt dauerte sechzig Stunden

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