Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ausgelieferten

Die Ausgelieferten

Titel: Die Ausgelieferten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
Vom Netzwerk:
belästige sie. Einer der lettischen Soldaten fügte hinzu, dass die Schweden offenbar den deutschen Teil des Lagers bevorzugten. Der Wachposten erwiderte nichts, sondern zog einen Offizier hinzu, der den Balten befahl, sich schlafen zu legen. Jedoch noch um 24 Uhr konnte man zwei lettische Offiziere vor den Zelten stehen und den Festplatz betrachten sehen. Sie trugen Uniform.
    Die Schweden zeigten sich durch die Reaktion der Balten nicht überrascht; die Balten waren beim Wachpersonal wenig beliebt, da man ihnen eine gewisse Neigung zur Querulanz nachsagte. »Sie hatten über alles zu meckern, manchmal mit Recht und manchmal nicht. Aber meckern taten sie immer.«
    Ein schwedischer Gemeiner, einundzwanzig Jahre, Angehöriger des Wachpersonals. Es war oft schön, Wachdienst zu haben; er machte immer die gleiche Runde um die Absperrungen, und in den lauen Sommernächten genoss er es, durch das Halbdunkel zu gehen und die leichte Luft einzuatmen. Dabei vergaß er oft, wozu er eigentlich auf der Insel war. Er mochte Gotland, es war ein leichter und schöner Sommer gewesen, ein leichter Dienst, und er liebte die Luft.
    An diesem Abend begannen die Deutschen gegen 7 Uhr zu singen und zu grölen, aber da man es ihnen offenbar erlaubt hatte, kümmerte er sich nicht darum. Bei seiner nächsten Runde sangen sie immer noch; die Balten standen am Rand ihres Lagers und schimpften; sie mochten das Geschrei nicht. Im Augenblick waren hier nicht sehr viele Balten, da eine Gruppe noch in Martebo untergebracht war, aber schimpfen konnten sie. Er war nie aus ihnen schlau geworden; er wusste nicht, welche Funktionen sie ausgeübt hatten und welche Rolle sie spielten. Die Älteren, die Offiziere, wollten gern als siegreiche Offiziere der siegreichen deutschen Wehrmacht dastehen. Die Jüngeren schienen meist bedrückt zu sein. Sie verabscheuten die Deutschen und hielten sich auch von ihren eigenen Offizieren fern. Ihre Zukunft war ungewiss, und sie ließen meist die Köpfe hängen. Er wurde aus den Balten überhaupt nicht schlau.
    Um 22 Uhr hätte das Fest zu Ende sein sollen, dann hätte man das Freizeitgelände wieder absperren können, was für das Wachpersonal kürzere Runden bedeutet hätte. Von einem Ende konnte aber keine Rede sein. Es wurde zum Zapfenstreich geblasen, was aber nur mit noch lauterem Gesang quittiert wurde. Um 22.30 Uhr kam der Chef der Wache mit zwei Mann und ging zu den Deutschen. Er musste enttäuscht feststellen, dass die Deutschen eine Verlängerung erwirkt hatten, dass der Lagerkommandant anwesend war und dass folglich nichts zu machen war. Bei seiner Ankunft hatte der schwedische Lagerchef gerade eine Ansprache gehalten.
    Die schwedischen Soldaten blieben noch ein Stündchen zusammen und unterhielten sich über ihren Kommandanten. Danach ging der Chef der Wache nach Hause. Am Tag darauf diskutierte er das Ereignis mit ein paar Kameraden. Er dachte noch mehrere Tage lang daran, und nach einer Woche war er richtig wütend geworden. Das Verhalten des Kommandanten fand er einfach unmöglich. Der größte Zorn war bald verraucht, aber wütend war er immer noch. Als er wieder nach Värmland kam, nach Hause, schrieb er einen Leserbrief an die Lokalzeitung, der auf der ersten Seite veröffentlicht wurde.
    »Der schwedische Kommandant«, schrieb er, »nahm an dem Fest teil. Als wir hinzukamen, hielt er gerade eine Rede und brachte einen Toast aus. Das Wort ›Kameraden‹ fiel mehrmals. Da der Kommandant im Range eines Oberstleutnants anwesend war, konnte der UvD nicht eingreifen. Das Fest ging munter weiter. Um 23.30 Uhr kam der Tagesoffizier hinzu. ›Jetzt wollen wir sie mal wegscheuchen, damit die Leute schlafen können‹, sagte er. Wir wiesen ihn darauf hin, dass der Kommandant bei den Deutschen war. ›Dann können wir nichts machen‹, war die Antwort. Nachdem wir unseren Gefühlen Luft gemacht hatten, war unsere Wachzeit zu Ende. Die Kameraden, die uns ablösten, sagten später, das Fest sei erst gegen 1.30 Uhr zu Ende gewesen. Es sollte noch hinzugefügt werden, dass sich in der Nähe Wohnhäuser befanden.«
    Der schwedische Soldat findet es ganz in Ordnung, dass sein Leserbrief veröffentlicht wurde und so viel Aufmerksamkeit erregte. Im übrigen hat er an Gotland nur angenehme Erinnerungen. Er ist aber der Ansicht, dass man nach Kriegsende nicht mit den Nazis hätte fraternisieren dürfen. Das sei das mindeste gewesen, was man hätte verlangen können, da Schweden nicht am Krieg gegen die Nazis

Weitere Kostenlose Bücher