Die Ausgelieferten
später übermächtig wurden und dem Blatt den Garaus machten. Am Abend des 16. November rief Erik Hjalmar Linder, der gerade dienstfrei hatte, um seine Literaturgeschichte zu schreiben, den politischen Reporter der Zeitung, Sven Erixon, an. Linder sagte, er habe gehört, dass einige Balten in Kürze ausgeliefert werden sollten, dass es Proteste gegen diesen Beschluss gegeben habe oder dass Proteste geplant seien. Es gebe gute Gründe, der Sache nachzugehen, vielleicht sei hier ein Knüller zu holen.
Linder hatte die Nachricht von Lennart Göthberg bekommen, einem ausgezeichneten Kenner der Literatur der vierziger Jahre, der außerdem über beste Verbindungen zur Oxford-Gruppe verfügte; die Moralische Aufrüstung schien einen eigenen Nachrichtendienst zu besitzen, mit Kontakten zum Außenministerium, zur Regierung, zur Armee und zur Verwaltung. Man konnte also davon ausgehen, dass Linders Angaben nicht aus der Luft gegriffen waren.
Sven Erixon hatte nicht mehr viele Stunden Zeit, aber er sah schon einen Riesenknüller am Horizont auftauchen. Die Zeitung besaß die Anschrift eines baltischen Verbindungsmannes, eines ehemaligen Diplomaten und landesflüchtigen Litauers namens Ignas Scheynius; dieser Mann war ein zuverlässiger Antikommunist, der ein Buch mit dem Titel »Die rote Flut steigt« geschrieben hatte. Er wohnte am Valhallavägen und bestätigte auf Anfrage den Wahrheitsgehalt der Meldung Linders. Die internierten baltischen Soldaten sollten an die Russen ausgeliefert werden. Er könne überdies den Protest gegen diese Maßnahme bestätigen, den einige Geistliche an Undén gerichtet hätten; das Protestschreiben enthalte alle Details. Wenn man einen Boten vorbeischicken könne, werde er gern …
Man schickte einen Boten. Sven Erixon rief auch im Außenministerium an, aber dort leugnete man, etwas von der Sache zu wissen, und weigerte sich, nähere Angaben zu machen. Danach rief er den Verteidigungsstab an, ebenfalls ergebnislos. Vor ihm auf dem Tisch lag ein detailliertes Protestschreiben an Undén, die beiden Dementis waren von zweifelhaftem Wert; aus der ganzen Sache ließ sich ein Artikel machen.
Zwei Stunden später war der Artikel fertig. Erixon trank noch einen Kaffee, unterhielt sich noch kurz mit Kollegen und ging dann in die Setzerei. Es sah hübsch aus; der Artikel sollte auf die erste Seite kommen, er war gut aufgemacht, sollte eine Balkenschlagzeile bekommen. Diese Sache würde Aufsehen erregen. Kleines Morgonbladet, dachte er, jetzt kriegst du einen jener Knüller, die du so nötig hast.
Dann ging er nach Hause. Es war der Abend des 16. November. Er wachte am nächsten Morgen gegen 9 Uhr auf und ging sofort zum Briefkasten. Dort steckte die Zeitung. Erixon schlug die erste Seite auf, aber da stand nichts von einer Auslieferung der Balten. Er blätterte weiter, Seite um Seite, fand aber nichts. Kein Wort von einer sensationellen Auslieferung, nichts. Nicht ein Wort darüber.
Man hatte seinen schönen Knüller einfach herausgenommen.
Er zog sich an, fuhr zur Redaktion, ging zu Stapelberg, der damals bei dem Blatt arbeitete, und fragte ihn, was geschehen sei. Oh, die Nacht sei höchst dramatisch verlaufen. Um 23.30 Uhr habe der Oberbefehlshaber angerufen und gesagt, er habe gehört, dass die Zeitung Bescheid wisse. Der OB habe gebeten, die Zeitung solle die Nachricht zurückhalten, schweigen und kein Wort verlauten lassen. Aus der Sicht des Stabes sehe es so aus: man müsse die Lager bewachen, habe aber zu wenig Personal. Die Absperrungen seien schlecht. Es könne Fluchtversuche geben, wenn die Internierten die Wahrheit erführen, Selbstmorde. Man wolle Zeit gewinnen, um die Lage besser in den Griff zu bekommen.
Mit anderen Worten: die Zeitung sollte die Schnauze halten.
Auch andere Redaktionsmitglieder hatten nachts Anrufe erhalten. Vom Außenministerium hatte jemand empört angerufen, und außerdem hatte man noch David Ollén, den Chefredakteur, angerufen. Die Beamten hatten lange und überzeugend gesprochen, und damit war für die Zeitungsleute nichts mehr zu machen gewesen.
Sie nahmen den Artikel heraus, machten in letzter Minute eine neue erste Seite, und die Nachricht von der Auslieferung war somit aus der Welt.
Der Sonnabend und der Sonntag vergingen. Am Montag endlich platzte alles. Es war die Västmanlands Läns Tidning , die einen Bericht über die Auslieferung veröffentlichte. Ihre Redakteure waren der Sache nachgegangen, hatten die Neuigkeit für glaubwürdig befunden und
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