Die Ausgelieferten
denn die Soldaten nicht statt dessen an die Westmächte ausliefern?
Undéns Antwort wurde in einem kühlen und vorwurfsvollen Ton vorgebracht. Er erklärte, dass es nicht den geringsten Grund gebe, der sowjetischen Rechtspflege zu misstrauen, und dass es unverfroren sei, die Sowjetunion nicht als Rechtsstaat zu betrachten. Er erklärte außerdem, er glaube soeben herausgehört zu haben, dass auf einen Bruch zwischen Ost und West, zwischen den Alliierten, spekuliert werde. Solche Spekulationen halte er für grundlos. Es gebe keinen Grund, ausgerechnet der Sowjetunion zu misstrauen oder anzunehmen, sie sei ein barbarischer Staat.
Die Debatte wurde nun immer kühler und war bald völlig festgefahren. Undéns Gesicht, das ursprünglich ausdruckslos, aber höflich ausgesehen hatte, schien nun mit einemmal einen Ausdruck absoluter Trockenheit und gemessener Kühle anzunehmen, der für Zugeständnisse keinen Spielraum mehr erwarten ließ. Hinterher erklärten alle, sie seien vom Verhalten Undéns schockiert gewesen: sie hätten ein höfliches Bedauern von seiten Undéns erwartet, irgendein diplomatisches Wort des Bedauerns über das Tragische der Affäre, aber statt dessen ein absolutes Unverständnis, eine Mauer aus trockener Skepsis und Misstrauen angetroffen.
Sie bekamen kein Wort des Bedauerns mit auf den Weg, nichts. Undén erklärte mit seiner trockensten Stimme, es gebe nichts zu bedauern. Damit wurden sie entlassen.
Danach setzte sich die Delegation an einem anderen Ort zusammen, um den Besuch zu besprechen. Alle waren sich einig, dass der Kampf eben erst begonnen hatte. Nunmehr galt es, die Richtlinien für das weitere Vorgehen festzulegen, und es wurde zum erstenmal ernsthaft erwogen, die Sache der Balten von der der Deutschen zu trennen. Angesichts der sehr überraschenden Frage Undéns konnte eine solche Trennung als taktisch richtig erscheinen.
Die Verbindungen zu den Zeitungen waren bereits hergestellt. Nun wurde auch beschlossen, Allan Svantesson nach England zu schicken; er sollte dort versuchen, von kirchlicher Seite Hilfe zu bekommen. Geld wurde »ohne Schwierigkeiten aufgetrieben«.
Die Kirchenmänner diskutierten noch lange. Der Kreuzzug gegen die Auslieferung würde nun beginnen.
Man schrieb immer noch erst Dienstag, den 20. November.
7
Feldwebel Otto Lutz glaubte, der Hungerstreik müsse im Verhalten der schwedischen Armee seinen Ursprung haben. Er dachte dabei an die Essenstreiks, über die in den Zeitungen berichtet wurde. Diese Essenstreiks waren für die Internierten eine Sensation, da sie glaubten, so etwas könnte in keiner Armee möglich sein.
Polizeibericht vom 20.10.1946
Der Hungerstreik war nicht spontan, kein Ausdruck einer individuellen Furcht der einzelnen Balten vor einer Auslieferung an Russland. Der führende Mann des Baltenlagers hat selbst zugegeben, dass der Hungerstreik nur durchgeführt werden konnte, weil man zuvor jeden einzelnen einer langandauernden und intensiven Beeinflussung ausgesetzt hatte; der Vertrauensmann hat die Balten angefleht, um Lettlands willen an der Aktion teilzunehmen. Es ist sicherlich so gewesen, dass die Hintermänner dieses passiven Widerstandes politische Ziele im Auge hatten.
Östen Undén am 17.1.1946 im schwedischen Reichstag
A m 15. November besuchte der lettische Exil-General Tepfers das Lager Ränneslätt; er kam im Auftrag des Lettischen Hilfskomitees, einer lettischen Exilorganisation; er kannte einige der Internierten schon aus früheren Zeiten sehr gut. Während der deutschen Zeit in Lettland hatte er mit Gailitis, Kessels und Ziemelis Verbindung gehabt, und bei seinem Besuch registrierte er sofort »eine gewisse Spannung zwischen den Offizieren einerseits und Dr. Eichfuss andererseits«.
Die erste Frage an Tepfers: was aus den Internierten werden sollte. Tepfers wusste Bescheid. Er hatte »schon irgendwann Mitte Juni erfahren, dass lettische und andere baltische Flüchtlinge, die zum Zeitpunkt der Kapitulation von sowjetisch-deutschen Frontabschnitten hierhergekommen waren, aufgrund einer Abmachung zwischen der schwedischen und sowjetischen Regierung an die Sowjetunion ausgeliefert werden sollten«. Soviel wusste er also. Er sagte ihnen aber, dass er nicht ganz sicher sei. Seit Juni war schon viel Zeit vergangen, und es war nichts geschehen. Er hatte den Internierten ja schon früher geschrieben, wie es um sie stand, jetzt schrieb man November, und es hatte sich noch nichts ereignet.
Er sagte, er wisse nicht, welche Entwicklung
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