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Die Ausgelieferten

Die Ausgelieferten

Titel: Die Ausgelieferten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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beschlossen, sie zu publizieren. Der Artikel war aber nicht sonderlich groß aufgemacht: im Satzspiegel sah es aus, als handelte es sich nicht um eine sensationelle Nachricht, eher im Gegenteil.
    Dort stand, wobei ein charakteristischer Übergang von »Militärbalten« zu »Zivilbalten« besonders ins Auge springt: »Das Außenministerium hat auf eine Anfrage des Kirchlichen Presseamts hin bestätigt, dass die Regierung beschlossen hat, zehn litauische, sieben estnische und hundertvierzig lettische Flüchtlinge an die Sowjetunion auszuliefern. Nach Auskunft des Auswärtigen Amts soll der Abtransport innerhalb der nächsten zehn Tage stattfinden. Es liegen auch Nachrichten darüber vor, dass ein russisches Schiff aus Murmansk sich schon auf dem Weg befindet, um die Flüchtlinge abzuholen.
    Der Auslieferungsbeschluss dürfte in erster Linie jene Balten betreffen, die in lettischer oder deutscher Uniform nach Schweden gekommen sind und hier interniert wurden, es wird aber befürchtet, dass auch zivile Flüchtlinge, die in der jüngsten Zeit nach Schweden geflohen sind, ausgeliefert werden könnten.«
    Am folgenden Tag, dem 20. November, hatte das Rad der Widerstandsorganisation schon zu rollen begonnen. Der Außenminister wurde von zwei bürgerlichen Parlamentariern, Håstad und Holmbäck, befragt. Beide verlangten Aufklärung über das weitere Schicksal der Balten. Gegen 11 Uhr vormittags erhielt Undén Besuch von einer Abordnung kirchlicher Würdenträger. Unter diesen Männern waren die Bischöfe Björkquist, Ysander und Cullberg, Hauptpastor Olle Nystedt, Pastor Lewi Pethrus, Missionsdirektor Tohn Gustafsson sowie die Pastoren Sven Danell und Allan Svantesson. Es waren insgesamt fünfundzwanzig Männer, auch Lennart Göthberg war unter ihnen. Sie kamen einige Minuten vor 11 Uhr im Erbfürsten-Palais an und entdeckten, dass schon Fotografen da waren.
    Reporter aller großen Zeitungen waren bereits zur Stelle, sie standen im Treppenhaus, und beim Eintritt der Kirchenmänner gab es ein ziemliches Gedränge. Punkt 11 Uhr öffnete sich die Tür von Undéns Vorzimmer, er kam selbst heraus, und jeder konnte sehen, wie er beim Anblick der Fotoreporter erstarrte. Er schien ihre Anwesenheit nicht sehr zu schätzen, und in der Delegation kam es zu einer geflüsterten Diskussion, bevor die Kirchenmänner zur Tür drängten. Sie hätten gegen eine gewisse Publizität ihres Besuchs nichts einzuwenden gehabt, aber hier kam es in erster Linie darauf an, Undén nicht zu verärgern.
    Sie erklärten dies den Fotografen. »Um der Sache willen«, sagten sie. »Es ist wichtig, Seine Exzellenz in dieser delikaten Situation nicht zu verärgern.« Die Presseleute verstanden und zogen sich zurück. Sie brauchten nicht unruhig zu sein: sie würden die notwendigen Informationen später von den Mitgliedern der Delegation erhalten.
    Als die Kirchenmänner endlich alle im Zimmer waren, nahm Undén auf einem Sofa Platz, die anderen setzten sich um ihn herum, wobei sie die interne Rangfolge beachteten. Einige mussten stehen, da so viele gekommen waren.
    Björkquist machte sich zum Sprecher der Abordnung; später trug auch Ysander mit einigen Repliken zur Unterredung bei. Er war ja sachkundig, da er im Winter 44/45 engen Kontakt zu jener Organisation gehabt hatte, die den Zivilbalten zur Flucht über die Ostsee verholfen hatte.
    – Den gegenwärtig hier internierten Balten, erklärte Björkquist, sollte politisches Asyl gewährt werden. Man sollte sie individuell beurteilen und nicht unterschiedslos zurückschicken. Das wäre ein Verstoß gegen schwedische Rechtsvorschriften.
    Undén, der zunächst schweigend zugehört hatte und angesichts dieser theologischen Übermacht einen äußerst misstrauischen Eindruck machte, unterbrach Björkquist plötzlich und fragte, ob der Besuch ausschließlich den Balten gelte oder »ob die Herren auch die Geschäfte der Deutschen besorgen« wollten; damit spielte er auf die dreitausend reichsdeutschen Soldaten an, die auch ausgeliefert werden sollten.
    Björkquist erwiderte: – Wir wünschen natürlich nicht, dass die Deutschen ausgeliefert werden, aber wir sind hauptsächlich wegen der Balten hier.
    – Es fällt mir schwer, sagte darauf Undén, diese besondere Sentimentalität der Balten wegen zu verstehen. Im übrigen ist die Auslieferung schon von der Koalitionsregierung beschlossen worden, sie ist nur noch eine reine Routineangelegenheit, und nunmehr werden nur noch die Modalitäten diskutiert.
    – Kann man

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