Die Ausgesetzten
Dutzende von Lichtern, die Jonas bislang für das
Funkeln der Sonnenstrahlen gehalten hatte, die durch die Bäume fielen, oder für Störungen seines Sichtfeldes, die er der Zeitkrankheit
zugeschrieben hatte.
Der Wald war voller Marker.
»Wir haben die Markerjungen nicht geschaffen«, flüsterte er. »Und falls doch, waren vorher schon andere Marker da.«
»Und woher willst du das wissen?«, fragte Katherine spöttisch.
»Daher«, sagte Jonas und deutete auf eine leuchtende Ranke. »Und daher.« Die Ameisenkolonne. »Und daher.« Der Vogel auf dem
Baum.
Katherine schnappte nach Luft und schlug sich dieHand vor den Mund, als hätte sie gerade entdeckt, dass der ganze Wald radioaktiv verseucht war.
»Sie sind ja … überall«, flüsterte Andrea.
»Genau«, sagte Jonas. »Und was schätzt ihr, wie lange sie schon hier sind? Eine halbe Stunde? Eine Stunde? Wir können in so
kurzer Zeit unmöglich so viele Marker verursacht haben.«
Bestürzt und mit großen Augen sah Katherine sich weiter um.
»Hier ist irgendwas ganz und gar nicht in Ordnung«, flüsterte sie. »So viel ist klar.«
Während sie dastanden und sich umschauten, landete ein echter Vogel direkt auf dem leuchtenden Markervogel und wurde vollständig
eins mit ihm. Das Leuchten verschwand. Nun war es nur noch ein ganz normaler Vogel auf einem ganz normalen Ast.
»Na also«, sagte Jonas. »Zumindest ein kleines bisschen Zeit, das repariert wurde.«
Er wollte nicht zugeben, wie erleichtert er war oder wie sehr er sich wünschte, auch die anderen Marker ringsum würden allesamt
wieder normal werden.
»HK hat mir erzählt, dass Menschen – und vermutlich auch Tiere – Marker nicht sehen können, es sei denn, sie befinden sich auf einer Zeitreise«, sagte Andrea. »Wie konnte der Vogel wissen,
wo sein eigener Marker sitzt? Woher wusste er so genau, wo er landen muss?«
»Chip und Alex haben erzählt, dass sie sich von ihren Markern fast magnetisch angezogen fühlten«, erwiderte Katherine. »Dem
Vogel muss es genauso gegangen sein.«
»Und warum verschwinden dann die anderen Marker nicht?«, hakte Andrea nach. »Warum gehen nicht nacheinander die Lichter aus
und alles wird wieder normal?«
Jonas merkte, dass er sich mit angehaltenem Atem umsah. Die Lichter gingen nicht aus. Es wurden höchstens mehr: Neue, nadelfeine
Lichtpünktchen entstanden dort, wo eigentlich Insekten fliegen, Samen niederfallen oder Eichhörnchen entlanghuschen sollten.
»Irgendwas hält diese Marker an ihrem Platz«, wisperte Katherine. »Es lässt die Zeit nicht an ihren Platz zurück, so wie es
eigentlich sein sollte.«
»Ist das … ist das meine Schuld?«, fragte Andrea stockend. »Hab ich alles ruiniert, weil ich nicht zur richtigen Zeit an den richtigen
Ort zurückgekehrt bin, wie HK es für mich vorgesehen hatte? Ist das passiert, weil ich die Variablen durcheinandergebracht
habe, die die Zeitanalysten so sorgfältig zusammengestellt haben?« Sie schniefte und deutete mit einer Handbewegung auf die
leuchtenden Überreste der Markeräste, -ranken, -insekten und -ameisen. Ihre Hand zitterte. »Heißt das, ich habe die Zeit für
immer zerstört?«
Jonas und Katherine sahen sich an. Jonas beschloss, lieber nicht zu sagen: Hättest du dir das nicht früher überlegen können?
Bevor du den Code im Definator verändert hast? Doch etwas anderes fiel ihm auch nicht ein.
»Nimm’s mir nicht übel, Andrea, aber warum solltest du so wichtig sein?«, fragte Katherine und klang dabei freundlicher, als
ihre Worte vermuten ließen. »Du warst nicht königlicher Abstammung wie Chip und Alex. Duwarst einfach nur das erste englische Kind, das in Nordamerika geboren wurde, und bist verschwunden. Das ist alles, was man
über dich weiß.«
»Wusste«, verbesserte sie Jonas unwillkürlich. »Das ist alles, was man in unserer Zeit über Virginia Dare
wusste
.«
Katherine sah ihn wütend an.
Ja, stimmt, dachte Jonas. Das hilft ihr sicher auch nicht weiter
.
Aber ihm ging ein neuer Gedanke durch den Kopf, etwas, an das er bislang noch nicht gedacht hatte.
Und es erschien ihm wichtig.
»Niemand wusste, was mit Virginia Dare passiert ist, weil niemand aufgeschrieben hat, wie der Rest ihres Lebens verlaufen
ist«, sagte er. »Zumindest nicht, soweit wir wissen. Doch seit es die Zeitreisen gibt, hätten Zeitreisende über alles, was
sie je getan hat, Bescheid wissen können. Über jede einzelne Sekunde ihres Lebens.«
Jetzt wurde Andrea
Weitere Kostenlose Bücher