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Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition)

Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition)

Titel: Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joelle Charbonneau
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noch durchhalten kann, und hoffe inständig, dass ich damit recht habe.
    Der Himmel ist grau, als wir ein weiteres Mal aufbrechen. Meine Beine sind schwächer, die Entzündung in meinem Arm hat sich verstärkt. Ich schlucke wieder Schmerzmittel, trage noch mehr Salbe auf, aber ich weiß, dass beides nichts gegen das Gift ausrichten kann, das in mir wütet. Ob man in Tosu-Stadt nach unserer Ankunft wissen wird, wie solche Verletzungen zu behandeln sind? Tomas ist davon überzeugt, aber er würde so ziemlich alles behaupten, nur damit ich nicht aufgebe. Merkwürdig, aber aufzugeben ist das Letzte, was ich tun würde. Nicht nach all dem, was wir gesehen haben und was wir zu tun gezwungen waren. Aufzugeben würde mir vorkommen, als wenn ich dem Zurückliegenden keine Bedeutung beimessen würde. Aber es muss relevant sein. Jemand muss sich daran erinnern. Jetzt, da wir dem Ende der Ausleseprüfung so nahe sind, mache ich mir Sorgen über die Löschung der Erinnerung, die mein Vater angekündigt hat. Während wir unseren Weg fortsetzen, versuche ich, mich an alles zu erinnern, was wir von unseren Lehrern in Five Lakes und von Dr. Flint über den Aufbau des menschlichen Gehirns gelernt haben. Als wir einen Stopp einlegen, um etwas zu essen, verkünde ich, ich bräuchte einen kurzen Mittagsschlaf. Statt mich hinzulegen, streife ich jedoch mein Armband ab und entferne mich etwa fünfzig Meter. Ein paar Minuten später macht Tomas das Gleiche.
    »Was ist los? Ist dein Arm noch schlimmer geworden? Wir können ein bisschen langsamer fahren, wenn du mehr Ruhe brauchst.«
    Ich ignoriere den Schmerz, der nun nicht mehr nur in meinem Arm tobt, sondern über meine Schulter bis hinunter in den ganzen Oberkörper ausstrahlt, und sage: »Wir sind fast am Ziel.«
    Auf Tomas’ Gesicht erscheint ein breites Grinsen. Das vertraute Grübchen bringt mich beinahe zum Weinen. »Ich weiß. Nur noch ein Tag, vielleicht zwei, dann sollten wir ankommen.« Er legt mir eine Hand auf die Stirn, und seine Miene wird plötzlich so besorgt, dass ich bestätigt finde, was ich ohnehin schon wusste. Ich glühe. »Sie werden deinen Arm wieder hinkriegen, wenn wir da sind, Cia. Im Handumdrehen wirst du wieder vollkommen hergestellt sein.«
    Vielleicht. Aber darüber kann ich mir im Augenblick keine Gedanken machen. »Dad hat gesagt, sie würden unser Gedächtnis so verändern, dass wir uns an die gesamte Auslese nicht mehr erinnern können.«
    »Möglicherweise ist das gar nicht so schlimm, wie wir jetzt glauben. Vielleicht versuchen sie ja tatsächlich, uns zu helfen, indem sie uns die Erinnerungen nehmen. Willst du wirklich damit leben müssen, dass du Malachi hast sterben sehen? Oder mit dem Anblick von Brick mit seinem Maschinengewehr?«
    »Nein«, antworte ich wahrheitsgemäß. Ein Leben lang unter Albträumen zu leiden, das ist nicht meine Vorstellung von einer guten Zeit. Aber genauso wenig will ich, dass mein Gehirn neu programmiert wird. Ich will einfach nicht vergessen, was ich durchlitten habe, wofür Malachi sein Leben lassen musste und was Brick für mich getan hat. »Ich muss mich erinnern können. Es ändert überhaupt nichts, wenn wir vergessen, was passiert ist. Nichts kann die Vergangenheit ungeschehen machen. Die Albträume meines Vaters beweisen, dass das Gedächtnis nicht vollständig gelöscht werden kann. Anstatt von dem geplagt zu werden, was Dad getan oder nicht rechtzeitig bemerkt oder unterlassen hat, kann er nur Vermutungen anstellen und sich mit Fragen quälen. Ist das nicht viel schlimmer?«
    Tomas tritt immer wieder mit dem Fuß auf den Boden vor sich, als würde er unsichtbare Steine wegkicken. Ich sehe, dass meine Worte in ihm arbeiten, und ich kann ihn verstehen. Die Vorstellung eines gnädigen Vergessens ist einfach zu verlockend.
    Dann blickt er mit einem Ruck hoch und sagt: »Die Albträume deines Vaters und die von Dr. Flint haben mich auf die Idee gebracht, dass die Prüfer unsere Erinnerungen nicht mithilfe einer Operation löschen werden.«
    Ich pflichte ihm bei. Dr. Flint hat uns erklärt, dass die Regionen im Gehirn, die für das Langzeit- und für das Kurzzeitgedächtnis verantwortlich sind, leicht zu finden seien, dass aber jedes Gehirn etwas anders aufgebaut sei. Der Versuch, eine bestimmte Verbindung im Gehirn zu kappen, die allein für die Erinnerungen von drei oder vier Wochen zuständig ist, dürfte schon bei einem einzigen Patienten eine riesige Herausforderung bedeuten – ganz zu schweigen von den

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