Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition)
mutierten Menschen ausliefert, die mich von oben bis unten mit ihren schrecklichen Krallen zerkratzen und dann vor meinen Augen explodieren. Die Arme meines Vaters schaukeln mich stundenlang, so wie er es tat, als ich noch klein war. Irgendwann hält er mitten in der Bewegung inne, legt seinen Kopf schräg und sagt mir, ich solle aufwachen. Jemand sei dort.
Abrupt schlage ich die Lider auf.
Ich kann Tomas in der Dunkelheit neben mir atmen hören. Er macht gleichmäßige, langsame Züge, was für einen tiefen, erholsamen Schlaf spricht. Vorsichtig auf meinen Arm bedacht, richte ich mich langsam auf, bis ich sitze, und beuge und strecke die Finger der in Mitleidenschaft gezogenen Hand. Sie bewegen sich leichter als gestern. Auch der Rest des Armes und die Schulter fühlen sich nicht mehr so geschwollen an. Entweder haben endlich die Schmerzmittel ihre Wirkung voll entfaltet, oder das schlimmste Brennen ist überstanden. Ich blinzle die Tränen der Erleichterung weg. Aus den Augenwinkeln kann ich sehen, dass sich irgendetwas im Schatten bewegt. Mit angehaltenem Atem warte ich ab, ob sich noch einmal etwas regt. Im schwächer werdenden Mondlicht erhasche ich einen kurzen Blick auf eine große menschliche Silhouette in einiger Entfernung. Ist das einer der mutierten Bewohner dieser Gegend oder ein anderer Prüfling? Aus der Art und Weise, wie sich der Schatten bewegt, schließe ich, dass es ein Kandidat sein muss.
Unser Lagerfeuer ist heruntergebrannt, und wir kampieren in einer Mulde, abgeschirmt von einigen Büschen, was es vermutlich schwerer macht, uns zu entdecken. Aber es dauert nicht mehr lange, bis der Tag anbricht, und der Bursche sieht nicht so aus, als ob er es eilig hätte. In ungefähr fünfzig Metern Entfernung sucht er sich langsam seinen Weg, und er ist unmittelbar in unsere Richtung unterwegs.
Langsam strecke ich meinen Arm aus und taste nach meiner Tasche. Als ich merke, dass sie nicht in Reichweite ist, gerate ich in Panik. Tomas muss sie woanders hingelegt haben, nachdem ich eingeschlafen bin. Nicht nur sie ist nicht mehr greifbar, sondern auch meine Pistole nicht.
Angestrengt starre ich in die Dunkelheit und versuche, sie irgendwo zu erkennen, aber ihre dunkle Tarnfarbe verbirgt sie gut. Ohne zu wissen, was der Näherkommende im Schilde führt, traue ich mich nicht aufzustehen. Ich sinke wieder zurück auf den Boden, stoße Tomas an und flüstere ihm ins Ohr: »Da hinten irrt ein anderer Kandidat herum.« Sofort ist er hellwach und reißt erschrocken die Augen auf. Dann nickt er, um mich wissen zu lassen, dass er mich verstanden hat. Gemeinsam halten wir den Atem an und warten.
Das Knacken von Zweigen und Rascheln von Blättern verrät uns, dass unser Mitbewerber näher kommt. Die ersten grauen Schimmer der Morgendämmerung verjagen die Schwärze der Nacht, während ich unter den Büschen hindurchspähe. Es ist niemand zu sehen.
Tomas hebt eine Augenbraue und schüttelt den Kopf. Auch er kann niemanden entdecken. Der andere Kandidat muss bereits an uns vorbeigelaufen sein und seinen Weg nach Tosu-Stadt fortsetzen.
»Ich denke, wir sind in Sicherheit«, flüstert Tomas. Ein Zweig zerbricht unter ihm, als er sich aufrichtet.
Ich höre das Sausen des Messers, das durch die Luft geschleudert wird, bevor ich das Metall im Dämmerlicht blitzen sehe. Dieser Extramoment rettet mir das Leben, denn ich kann mich zur Seite werfen und zuschauen, wie die Klinge in den Büschen hinter mir verschwindet. Unser Angreifer stößt einen wütenden Schrei aus. Ich rappele mich auf und sehe mich hektisch nach meinen Sachen um. Tomas zückt sein Buschmesser und stürmt los, als ich endlich meine Tasche neben meinem Fahrrad – über zehn Meter weit weg! – entdecke. Das Geräusch von Metall auf Metall verrät mir, dass der andere Kandidat noch eine weitere Waffe besitzt und nun in einen Nahkampf mit Tomas verstrickt ist.
Dann höre ich Tomas aufschreien und sehe, wie sich eine lange, breite Klinge in seine Seite bohrt. In diesem Augenblick kann ich auch erkennen, um wen es sich bei seinem Kontrahenten handelt. Sein Gesicht ist schmaler geworden, und seine Wangen sind eingefallener, aber den boshaften Zug um den Mund würde ich überall wiedererkennen. Roman. Er zieht sein Messer aus Tomas’ Körper und holt aus, um erneut auf seinen Gegner einzustechen.
Meine Finger zerren hektisch am Verschluss meiner Tasche, während Klinge auf Klinge klirrt. Fieberhaft krame ich zwischen meinen Sachen herum, als ich wieder
Weitere Kostenlose Bücher