Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition)
herunter, um die fünf unregelmäßigen Narben zu verstecken, und öffne die Tür.
»Hey, du bist ja noch gar nicht fertig.« Stacias dunkle Augen werden ganz schmal, als sie meine weiße Tunika und die braune Hose mustert. »Du kannst doch nicht in diesem Aufzug zur Party kommen. Was sollen denn die anderen von dir denken?«
»Die Feier beginnt doch erst in einer Stunde.« Ich lache unbeschwert. »Keine Sorge. Ich werde schon angemessen gekleidet sein.«
»Das solltest du auch.« Stacia runzelt die Stirn, ehe sie wieder davonstapft, aber ich sehe den Anflug eines Lächelns auf ihren Lippen. Stacias ernstes Auftreten hält die anderen Kandidaten, Tomas eingeschlossen, auf Abstand. Aber aus irgendeinem Grund habe ich gleich am Anfang mit ihr ein paar Worte gewechselt, und wir scheinen gut miteinander auszukommen. Vermutlich sind wir uns während des sechswöchigen Ausleseprozesses bereits begegnet, und vielleicht hat unsere Freundschaft damals schon begonnen und wird jetzt einfach fortgeführt.
Als ich die Tür wieder zugemacht habe, stelle ich fest, dass Stacia recht hat. Ich sollte mich wirklich für die Feier umziehen. Schließlich findet sie mir zu Ehren statt.
Wir waren bislang viel zu sehr damit beschäftigt, unsere Ausbilder an der Universität zu treffen, den neuen Gebäudekomplex zu erkunden und in unsere Apartments einzuziehen, als dass irgendeiner von uns Zeit gehabt hätte, neue Kleidung zu kaufen. Andere Studenten haben uns ein paar überzählige Anziehsachen überlassen, und Dr. Barnes hat uns auf die kommenden Wochen vertröstet, in denen wir unsere eigene Garderobe werden aufstocken können. Also schlüpfe ich jetzt wie üblich in meine Hose, ziehe mir jedoch ein geborgtes blaues Hemd an, das meine Narben versteckt. Meine Haare lasse ich offen, weil Tomas mal erwähnt hat, wie gerne er das mag. Da wir die Einzigen aus der Five-Lakes-Kolonie sind, die die Auslese überstanden haben, fühlen wir uns natürlich zueinander hingezogen. Aber uns verbindet mehr als nur die Gespräche von zu Hause. Etwas Wärmeres, Tieferes und Aufregenderes als Freundschaft. Vielleicht ist es dumm von mir zu glauben, dass unsere Gefühle Liebe sein könnten, aber nun, wo die Auslese vorbei ist, kann Tomas und mich nichts mehr davon abhalten, es herauszufinden.
Als Stacia das nächste Mal klopft, habe ich das silberne Erkennungsarmband mit der Gravur eines einzelnen Sterns – dem Symbol der Erstsemester – um mein Handgelenk gebunden und bin zum Aufbruch bereit. Wir treten hinaus und werden von einem Stimmengewirr begrüßt, und als wir um eine Ecke biegen, beginne ich zu strahlen. Ich sehe ein Poster, auf dem man mir zum Geburtstag gratuliert, einen großen Kuchen und lächelnde Gesichter. Tomas, Dr. Barnes, unser gesamter Uni-Jahrgang und auch einige Offizielle sind da, um mit mir zu feiern.
Irgendjemand hat uns entdeckt, und schon drehen sich alle um und beginnen zu singen. Ich weiß nicht, ob dieses Lied in jeder Kolonie an Geburtstagen erklingt oder ob Tomas es den anderen beigebracht hat, aber die Melodie lässt Erinnerungen an zu Hause in mir aufsteigen. Ich kann nichts dagegen tun, dass ich zu weinen beginne.
Als der Gesang verstummt ist, wischen mir zärtliche Finger die Tränen von den Wangen. »Hey, das ist doch ein Anlass, um fröhlich zu sein. Vielleicht war das mit dem Lied doch keine so gute Idee.«
»Unsinn.« Ich lächele Tomas an. »Das war perfekt, ganz ehrlich.«
»Wirklich?«
Seine Lippen liebkosen meine, und ich versichere ihm strahlend: »Wirklich.«
Eine spöttische Stimme ruft: »Hey, andere Leute wollen dem Geburtstagskind auch einen Kuss geben.«
Tomas sieht Will mit finsterer Miene entgegen, als der zu mir kommt, mich auf die Wange küsst und mir einen Arm um die Schultern legt. Wills lange Haare sind im Nacken zusammengebunden, und in seinen Augen blitzt der Schalk, was schön zu sehen ist, weil das vor Kurzem noch ganz anders war. Als Dr. Barnes uns bei unserem ersten Meeting dazu gratuliert hatte, dass wir an der Universität aufgenommen worden sind, hatte Will sofort seine Hand gehoben und nach seinem Bruder Gill gefragt, der gemeinsam mit ihm zur Auslese angetreten war. Dr. Barnes hatte erwidert, dass nur Will bei den Prüfungen erfolgreich gewesen sei und dass sein Bruder, wie alle Kandidaten, die nicht bestanden hatten, einer neuen Kolonie zugewiesen worden sei. Daraufhin rastete Will aus. Vier Offizielle waren nötig, um ihn aus dem Versammlungsraum zu schaffen, und es dauerte
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