Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition)
allen leichter ums Herz. Und diese Leichtigkeit verfliegt selbst dann nicht, als Ryme sagt, sie sei froh darüber, dass am nächsten Tag die Ersten ihre Sachen würden packen müssen.
Im Schlaf halte ich meine Tasche fest an die Brust gedrückt, und ich verbringe die Nacht ohne böse Träume.
Als wir uns am nächsten Morgen beim Frühstück wiedertreffen, sehen wir ausgeruht aus, aber die Anspannung wächst stetig. Ganz gleich wie viel wir miteinander sprechen, es kann uns die Ängste nicht nehmen, während wir uns mental auf die nächste Prüfung vorbereiten. Naturwissenschaften.
Das Periodensystem. Chemische Gleichungen. Physikalische Berechnungen. Diese Fragen kommen zuerst und sind einfach im Vergleich zu jenen, die sich um wissenschaftliche Erklärungen für die mutierten Insekten und anderen Tiere drehen, die heute die Welt bevölkern. Doch der Teil, bei dem es um genetisch veränderte Pflanzen geht, fällt mir leicht aufgrund meiner praktischen Erfahrungen. Meine Daumen mögen zwar nicht unbedingt grün sein, aber ich verstehe die Konzepte hinter der Erschaffung von Hybriden und auch die Faktoren, die den Erfolg dabei begünstigen.
Allzu rasch ist die Zeit verflogen. Zwei Seiten bleiben leer. Zeit für das Mittagessen, dann folgt Teil vier: Lese- und Sprachfertigkeit. Meine Augen brennen, und mein Körper ist ganz taub vor Müdigkeit, als ich endlich fertig bin und feststelle, dass die Uhr noch immer rückwärts läuft. Zehn Minuten sind noch übrig.
Panik durchströmt mich. Habe ich die Fragen zu schnell beantwortet? Hat mich meine Eile dazu verführt, falsche oder unvollständige Antworten zu geben? Ich bin versucht, das Heft noch einmal aufzuschlagen, um die Fehler, die ich mit großer Wahrscheinlichkeit gemacht habe, wieder auszubügeln. Allerdings höre ich die Stimme meiner Eltern in meinem Hinterkopf und den Rat, den sie mir immer gaben, wenn sie mit mir am Küchentisch saßen und mich für einen Test abfragten. Ich solle mir Zeit lassen und nicht im Nachhinein an mir zweifeln, denn fast immer sei mein erster Instinkt der richtige.
Ich lege den Stift hin und falte die Hände vor mir. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Tomas ebenfalls früher fertig ist. Als ich mich ihm zuwende, schenkt er mir sein Grübchenlächeln.
Fünf Minuten sind noch übrig. Vier. Drei. Zwei. Bleistifte kritzeln. Blicke schießen zur Uhr und wieder zurück zu den Heften, die aufgeschlagen vor jenen Kandidaten liegen, die versuchen, noch rasch eine letzte Antwort zu Papier zu bringen. Der Summer ertönt. Die erste Runde der Auslese ist überstanden.
Wir werden zu den Aufzügen gebracht. Ein paar der jungen Leute um uns herum klatschen sich mit erhobenen Händen ab und jubeln. Ich bin nur müde und erleichtert, denn ich habe mein Bestes gegeben. Auf alles, was jetzt noch kommt, habe ich keinen Einfluss mehr. Tomas drückt mir rasch die Hand, als sich die Türen des Fahrstuhls öffnen. Dann verschwindet er mit den anderen Jungen den Gang hinunter, während ich mich in die entgegengesetzte Richtung aufmache. Ich bin enttäuscht, als ich sehe, dass Ryme es schon wieder geschafft hat, vor mir in unser Zimmer zurückzukehren. Sie sitzt an ihrem Tisch und beugt sich über eine silberne Figur, die sie von zu Hause mitgebracht haben muss. Noch immer liegen neun Getreidekekse auf dem Teller. Rymes Lächeln ist strahlend, doch auch eine Spur überkandidelt, als sie mich hereinkommen sieht.
»Wie ist es gelaufen?«
Ich schüttele den Träger meiner Tasche von der Schulter und entschließe mich zu einer ehrlichen Antwort. »Beim naturwissenschaftlichen Teil bin ich nicht ganz fertig geworden.«
Rymes Augen werden schmal. Sie kaut auf ihrer Unterlippe herum und mustert mich einige Momente lang. Ich schätze, sie versucht herauszufinden, ob ich die Wahrheit sage. Vermutlich kommt sie zu dem Schluss, dass ich sie nur irgendwie manipulieren will, so wie sie es umgekehrt tun würde. Man darf sich nichts vormachen: Wer einen Haufen Getreidekekse mitbringt und keinen davon isst, wäre sich bestimmt auch nicht zu schade, den anderen psychisch fertigzumachen.
Schließlich wirft sie mir ein selbstgefälliges Lächeln zu: »Ich nehme an, die Schulen in der Five-Lakes-Kolonie sind nicht so gut wie die in Dixon. Zu blöd. Eine von uns wird nicht mehr lange hier sein.«
Heiße Wut steigt in mir auf. Ich drücke meine Fingernägel in die Innenfläche meiner Hände, um meinen Zorn unter Kontrolle zu bringen. Aber ich kann mir nicht verkneifen zu
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