Die Auslese: Nur die Besten überleben - Roman (German Edition)
Jahr diskutieren wir darüber, ob wir die Tests über die gesamte erste Woche verteilen sollen, doch dann kommen wir immer wieder zu dem Schluss, dass es besser ist, diesen ersten Teil der Auslese so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen. Zu viel Zeit zum Nachdenken kann nämlich auch eine Belastung sein.« Er seufzt. »Würde es dir etwas ausmachen, uns einen Blick in euer Zimmer werfen zu lassen? Wahrscheinlich hat sich Miss Reynolds einfach nur entschieden, das Abendbrot ausfallen zu lassen, aber wir würden gerne sichergehen.«
»Selbstverständlich.« Ich meine, es ist ja schließlich nicht im eigentlichen Sinne mein Raum. »Nur zu.«
Wieder lächelt er. »Du wirst uns begleiten müssen. Das Gesetz schreibt vor, dass die Prüfer den Raum eines Kandidaten nicht betreten dürfen, wenn dieser nicht dabei ist, beziehungsweise nur dann, wenn es sich um einen offenkundigen Notfall handelt.«
Ich schätze, ich sollte froh sein, dass sie nicht die Gesetze des Vereinigten Commonwealth abgefragt haben, denn dann wäre ich sicher durchgefallen. Ich ärgere mich, dass Ryme einen solchen Wirbel verursacht und ich jetzt zurück zu unserem Zimmer laufen muss, doch ich folge Dr. Barnes den Gang hinunter. Seine Schritte sind leise, aber die Stiefel der beiden Offiziellen poltern auf dem Boden. Wenn Ryme noch im Zimmer ist, dann hört sie uns auf jeden Fall kommen.
Ich drücke die Klinke runter, schiebe die Tür auf und mache einen Schritt hinein. Als Erstes trifft mich der Gestank von Urin, vermischt mit dem Geruch von Kornkeksen. Dann sehe ich sie. Sie baumelt an einem bunten Seil.
Ryme hängt von der Decke. Ihr Gesicht ist rot und fleckig. Ihre Augen sind vor Entsetzen weit aufgerissen. Eine tiefe Kerbe ist rings um ihren Hals zu erkennen, und sie blutet an den Stellen, wo sie sich von dem Seil zu befreien versucht hat, sei es aus einem Instinkt heraus oder weil sie in letzter Sekunde ihre Meinung geändert hat.
Ich schreie, als das, was ich vor mir sehe, in meinem Gehirn ankommt. Ich schreie aus voller Kehle.
Ryme ist tot.
Kapitel 7
Hände stützen mich und führen mich wieder hinaus auf den Flur. Jemand bittet mich, kurz zu warten, und andere Leute in Jumpsuits kommen von allen Seiten herbeigerannt. Ich presse meine Tasche an die Brust wie eine Rettungsweste, während rings um mich herum wilde Aktivität ausbricht. Ryme wird von der Decke geschnitten. Eine fahrbare Liege taucht von irgendwoher auf. Als sie ratternd an mir vorbeigeschoben wird, sehe ich, dass das Seil noch immer um Rymes Hals geschlungen ist: Es ist ihr Kleid, in dem sie gestern so hübsch ausgesehen hat und das nun an ein Bettlaken geknotet ist.
Ich kann weder meinen Magen daran hindern, sich zu entleeren, noch die Tränen zurückhalten, die heiß und schnell über meine Wangen strömen. Ich weine um Ryme, und ich weine um mich, weil ich die Verzweiflung und die Niedergeschlagenheit hinter der arroganten Fassade nicht erkannt habe. Habe ich meiner Zimmerkameradin vielleicht den Rest gegeben, weil ich sie dafür verspottet habe, dass sie beim letzten Test nicht fertig geworden ist? Hätte ein freundliches Wort sie retten können?
»Cia?«
Ich blinzele und merke erst jetzt, dass Dr. Barnes beide Hände auf meine Schultern gelegt hat. Er schaut mir tief in die Augen. Ich blinzle zwei Mal und schlucke die bittere Galle hinunter, die sich hinten in meiner Kehle gesammelt hat. Stumm nicke ich, damit er weiß, dass ich ihm zuhöre.
»Man wird dir einen anderen Raum zuweisen.« Er lehnt sich gegen die Wand neben mir. »Willst du darüber sprechen?«
Nein, das will ich nicht. Aber ich werde es tun. Leise erzähle ich ihm von Rymes auftrumpfendem Auftreten und von ihren höhnischen Bemerkungen. Von meiner Reaktion und davon, dass ich mich schließlich bei ihr entschuldigt habe. Selbst von den Getreidekeksen und von dem, was ich darin vermutet habe. Er ist ein guter Zuhörer. Seine braunen Augen ruhen auf mir, und ich lese keine Verurteilung darin. Er nickt und ermutigt mich damit weiterzusprechen. Nicht ein einziges Mal lässt er sich von den Offiziellen, die sich an uns vorbei in den Raum hinein- und wieder herausdrängeln, ablenken. Leute wischen den Boden neben mir auf und flüstern sich mit gedämpften Stimmen zu, dass man Rymes Sachen wegschaffen müsse.
Als ich mit meinem Bericht am Ende angekommen bin, fühle ich mich leer, was in gewisser Weise besser ist als das erstickende, beschämende Schuldgefühl vorher. Dr. Barnes versichert
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