Die Außenseiter
Plattitüden. Trügerische Empfindsamkeit, falsche Wut, befangene Raserei. ›Der Jarzarel segelt und gleitet, senkt sich herab, den Boden zu küssen, und strauchelt, Leidenschaft verströmend: Berührung im Vakuum.‹«
Bei dieser typisch blumigen Formulierung des Meisters stießen die versammelten Schüler leise, anerkennende Klick- und Pfeiflaute aus. Desvendapur stand körperlich wie intellektuell seinen Mann. Bei Wuuzelansem wirkte es immer so leicht: Die richtigen Worte und Laute kamen ihm in Hülle und Fülle über die Mundwerkzeuge, mit Händen und Körper vollzog er präzise die passenden Gesten, während andere Stunden, Tage, ja Wochen dafür gebraucht hätten, auch nur eine oder zwei originelle Strophen zu dichten. Besonders Des hatte damit Schwierigkeiten. Er schien nie die treffenden Worte finden zu können, um die Emotionen auszudrücken, die in seinem Innersten emporwallten. Wie ein brodelnder Vulkan versprühte er viel Dampf und Hitze, ohne je einen kreativen Ausbruch zu haben. In künstlerischer Hinsicht fehlte ihm eine wichtige Gabe, in ästhetischer Hinsicht jedoch alles.
Wacker akzeptierte er den lyrischen Rüffel seines Meisters, doch die Art, wie sich seine Antennen instinktiv über seinen Kopf zurückrollten, verriet, wie sehr ihn die Worte trafen. Es war nicht das erste Mal, und er erwartete auch nicht, dass es das letzte Mal sein würde.
In diesem Punkt sollte er Recht behalten. Dichtung konnte eine grausame Angelegenheit sein, und sein Meister hatte nicht gerade in dem Ruf gestanden, seine Schüler zu verhätscheln.
Rückblickend überraschte es Desvendapur nicht, dass er die Torturen der Ausbildung durchgestanden hatte. Doch obgleich er stets von seinem eigenen Scharfsinn überzeugt gewesen war, hatte es ihn überrascht, dass er graduiert worden war. Er hatte damit gerechnet, bei seiner Entlassung nicht den vollen Abschlussgrad bescheinigt zu bekommen. Stattdessen überhäufte man ihn mit Glückwünschen und überreichte ihm sein offizielles Abschlusszeugnis. Sein Abschluss brachte ihm schließlich eine langweilige, aber gerade noch erträgliche Anstellung in einem Privatunternehmen ein, einer Großhandelsfirma für Lebensmittel, in der er viel Zeit damit verbrachte, attraktive Jingles zu erfinden, die die Schönheit und Gesundheit der firmeneigenen Produkte rühmten. Während er damit seinen Lebensunterhalt verdiente (er aß wirklich gut), erschlaffte sein emotionales und künstlerisches Wohlgefühl. Tag um Tag feilte er an Gedichten über die mannigfaltige Herrlichkeit von Früchten und Gemüsesorten, und immer öfter beschlich ihn das Gefühl, jeden Augenblick explodieren zu müssen. So weit kam es indes nie, was zur Folge hatte, dass ihn ein starkes, übermächtiges Angstgefühl zu plagen begann.
Würde er jemals explodieren?
Dutzende geladener Gäste hatten sich zum traditionellen Kreis im Garten aufgestellt, in dem der Dichter recycelt werden würde. Bekannte Persönlichkeiten und Würdenträger, ehemalige Schüler - berühmte wie unbekannte -, Repräsentanten von Clan und Familie, alle lauschten sie höflich den respektvollen Reden und adelnden Refrains, die die Tugenden des Verstorbenen priesen und durch die dunstige Morgenluft hallten, fortgetragen vom sanften Wind. Die Zeremonie zog sich nun schon viel zu lange hin. Viel länger, als es dem bescheidenen Wuuzelansem recht gewesen wäre. Wenn der Meister es noch könnte, dachte Des amüsiert, hätte er sich längst von seiner eigenen Bestattung entschuldigt.
Nachdem der volltönende Trauergesang verklungen war, lief Desvendapur durch die Menge und erblickte zu seiner Überraschung Broudwelunced und Niowinhomek, zwei ehemalige Kommilitonen. Beide hatten sie erfolgreich Karriere gemacht, Broud in der Regierung und Nio beim Militär, das stets energische und erfrischende Dichter suchte. Er zögerte, sich ihnen zu offenbaren, doch schließlich gab sein gewohnheitsmäßiger Hang zur Zurückgezogenheit dem angeborenen Bedürfnis der Thranx nach der Gesellschaft von Artgenossen nach. Als er sich ihnen näherte, freute er sich insgeheim, dass die beiden ihn sofort erkannten.
»Des!« Niowinhomek beugte sich vor und schlang ihre Antennen regelrecht um die seinen. Der Schock von Vertrautheit war erfrischender, als Des es zugegeben hätte.
»Eine Schande, dass der Meister tot ist.« Broud deutete mit einer Fußhand auf das Podium. »Wir werden ihn vermissen.«
»›Die Welle rast dem Strand entgegen, überschäumt ihn und sinnt über
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