Die Außenseiter
mit einer Schnur um den Körper gebunden hatte, wusste der Thranx, dass er einen höchst absurden Anblick bot. Während er sich in einer merkwürdigen Spiegelfläche an der Wand betrachtete, nahm er seinen Sch'reiber aus der ThoraxTasche, die nun unter der Decke verborgen war, und begann zu dichten.
Cheelo sah ihm entrüstet zu, während er eine Schnalle an seinem Rucksack festzog. »Musst du eigentlich ständig dichten?«
Der Thranx vollendete eine höchst emotionale Strophe und drückte dann die Pausentaste seines Sch'reibers. »Wenn ein Dichter aufhört zu dichten, ist das für ihn so, als würde er im Sterben liegen.«
Der Mensch schnaubte - einer seiner eher primitiven Laute - und aktivierte den Öffnungsmechanismus des Garagentores, das sich langsam aufrollte. Die Wärme entwich aus dem wärmeisolierten Gebäude, und kalte, furchtbar trockene Luft rauschte hungrig hinein. Mit vernehmlichem Klacken schloss Desvendapur die Mundwerkzeuge, damit die tödliche Kälte nicht durch den Mund in seinen Körper gelangte. In Situationen wie dieser war es sehr praktisch, nicht mit dem Mund atmen zu müssen. Der Zweifüßer hatte zwei lange, schmale Schlitze in die Decke geschnitten, die er dem Dichter um den Thorax gebunden hatte, damit er ungehindert durch seine Stigmen atmen konnte. Desvendapurs Lungen zogen sich zusammen, als sie sich mit der kalten Luft füllten. Er unterdrückte einen Schauder und trat zögerlich einen Schritt vor, hinaus ins Freie.
»Lass uns gehen! Je eher wir hinabstiegen, desto schneller wird die Luft wieder warm und feucht.«
Cheelo nickte nur knapp, und folgte dem Thranx aus der Garage.
Sie fanden eine Art Trampelpfad - welche Tiere ihn ausgetreten hatten, wusste Cheelo nicht. Der Pfad war gerade breit genug, dass sie beide hintereinander darauf gehen konnten. Vermutlich hatten die Wilderer ihn regelmäßig als Zugang zum Regenwald benutzt, wenn sie die seltenen Tiere jagten, die in dem wenig besuchten Ökosystem zwischen Felsplateau und Dschungel lebten. Vermutlich war der Pfad ursprünglich nicht von Lamas ausgetreten worden, sondern eher von weit umherstreifenden Fleischfressern wie Jaguaren oder Brillenbären, die seit Generationen immer wieder auf dem gleichen Weg auf Beutezug gingen.
Normalerweise wäre Cheelo, der sich in der kühlen Bergluft weit wohler fühlte als sein Gefährte, sicher deutlich schneller vorangekommen als der Thranx, doch fand Desvendapur dank seiner sechs Beine viel besser Halt auf dem schmalen Pfad. Während der Dieb gezwungen war, besonders steile Gefälle oder Hänge mit äußerster Vorsicht zu überqueren, konnte Desvendapur problemlos und unbeschwert weiterlaufen, sodass der Abstand zwischen ihnen nie allzu groß wurde.
Gegen Mittag machten sie an einem kleinen Wasserfall Rast. Große Schmetterlinge mit metallisch glänzenden Flügeln flatterten am Rand der Gischt, während Moskitos unter den saftigen Farnen am Wasserrand tanzten. Cheelo war bester Stimmung. Seinem vielbeinigen Gefährten hingegen war deutlich anzusehen, dass es ihm nicht annähernd so gut ging.
»Komm schon, lass die Fühler nicht so hängen!«, versuchte er den Thranx aufzumuntern. »Wir kommen gut voran.« Cheelo, der ein Stück rehydriertes Fleisch kaute, deutete mit dem Kopf auf die Wolken, die schwermütig im Tal unter ihnen dahinzogen. »Ehe du dich's versiehst, sind wir wieder da unten, wo es sengend heiß und stickig ist.«
»Genau davor fürchte ich mich ja.« Desvendapur kauerte sich so gut er konnte unter den dünnen Decken zusammen, die seinen Panzer viel zu locker umhüllten. »Dass ich unten ankomme, ehe ich's mich versehe.«
»Sind alle Thranx so pessimistisch?«, neckte Cheelo ihn.
Recht erfolglos versuchte der Dichter, seine ungeschützten Gliedmaßen enger an den Körper zu ziehen. »Im Gegensatz zu euch Menschen haben wir leider nicht die Fähigkeit, uns an extreme Klimaschwankungen anzupassen. Ich kann es kaum glauben, dass du dich in dieser Umgebung wohl fühlst.«
»Oh, es ist schon ein bisschen frisch, vertu dich da mal nicht. Aber jetzt, wo wir die Hochebene hinter uns haben und im Nebelwald sind, müsste die Luft eigentlich feucht genug für dich sein.«
»Das stimmt, die Luft wird allmählich schwerer«, räumte Desvendapur ein. »Aber es ist immer noch kalt, so kalt!«
»Iss dein Gemüse!«, riet er dem Thranx. Wie oft hatte Cheelos Mutter das früher zu ihm gesagt? Er lächelte, als er an sie zurückdachte. Doch das Lächeln war nur von kurzer Dauer.
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