Die außergewoehnlichen Geheimnisse von April, May & June
zu brechen. Das war das Schlimmste von allem.
»May.« Henry rutschte näher zu mir rüber. »Es ist okay.«
»Ja klar, es ist fantastisch«, schniefte ich. »Es ist super. Echt, das waren die besten vierundzwanzig Stunden meines Lebens.«
»Nein, ich meine ⦠Es ist nicht okay. Aber es ist okay, dass es nicht okay ist.«
Schweigend sah ich ihn an. Unter seinen Haaren, die sich in der Abendluft gekringelt hatten, sah er mich an, weil er wissen wollte, ob ich ihm wirklich zuhörte.
»Alle sind irgendwie durch den Wind«, fuhr er fort. »Meine Schwester vergeigt Spanisch und hängt nur noch mit Blake ab, aber sie ist kein schlechter Mensch, weiÃt du?« Henry klang, als wollte er eher sich als mich davon überzeugen. »So ist es eben. Manche Dinge tun weh, und zwar lange. Aber du musst dich dagegen wehren, damit sie dich nicht kleinkriegen. Mariah wehrt sich nicht. Aber du wehrst dich, und deshalb mag ich dich.«
Ich sah Henry dabei zu, wie seine Hand systematisch und bündelweise die langen Grashalme ausriss und fallen lieÃ. »Irgendwie kann ich verstehen, wieâs deiner Schwester geht«, sagte ich. »Ãberraschenderweise.«
Henry grinste. »Tja, kann schon sein.«
»Wie geht dieses Sprichwort doch gleich? âºVerzweifelte Situationen erfordern verzweifelte Tatenâ¹? Alle Welt macht doch ständig verzweifeltes Zeug.«
»Ja«, sagte Henry leise. »Wahrscheinlich ist sie verzweifelt.«
»Tut mir echt leid«, sagte ich und wischte mir mit dem Ãrmel über das Gesicht. »Normalerweise lade ich meinen Kram nicht so bei anderen Leuten ab.«
»Schon okay«, sagte er ebenso leise. »Geht voll in Ordnung. Du bist sonst immer so sarkastisch. Du sagst nie ehrlich, wie es dir wirklich geht.« Er schaute von seinen Grashalmen zu mir. »Ich mag es, wenn du ehrlich bist. Es ist dann, als ob ich dich tatsächlich sehen kann.«
»Manchmal fühl ich mich, als wär ich unsichtbar«, murmelte ich gedankenverloren, und plötzlich traf es mich wie ein Schlag. »Oh mein Gott!« Panisch sah ich an mir herunter und fragte mich, welche Körperteile wohl diesmal fehlten. Aber ich war noch da â Finger und Zehen komplett anwesend â und Henry beobachtete mich mit einem ganz merkwürdigen Blick.
»Wie bitte?«, fragte er.
»Ãh, nichts«, stammelte ich, und mein Herz hämmerte los. »Ich hab nur ⦠ich dachte, da war so ein Krabbelvieh.«
Henry grinste. »Mariah hasst Krabbelviecher auch.«
»Eigentlich hasse ich sie gar nicht«, korrigierte ich hastig. »Ich hab nur ein Problem mit allem, was mehr als acht Beine hat.«
»Du bist also gegen TausendfüÃler?«
»Absolut. Wenn einer meinen Weg kreuzt, dann gnade ihm Gott.«
Henrys Grinsen strahlte jetzt über sein ganzes Gesicht. Seine Schneidezähne standen ein bisschen schief, was aber durchaus charmant aussah und keinen kieferorthopädischen Noteinsatz erforderte. »Ich weiÃ, was du meinst«, sagte er. »Mit dem Verschwindenwollen, irgendwohin.«
»Stanford?«, flüsterte ich.
»Ja«, bestätigte er. Und dann erzählte er mir von seinen Eltern und davon, dass seine Mutter mit Mariah nicht mehr weiterwusste. »Ständig streiten sie sich«, sagte er. »Und Mariah hängt nur noch mit diesem Blake rum.«
»Tja«, sagte ich mitfühlend. »WeiÃt du, manchmal ist es mit einer Schwester schlimmer als mit ânem bescheuerten Freund oder âner dämlichen Freundin. Mit denen kann man wenigstens Schluss machen. Aber mit deiner Schwester?«
»Ist es wie lebenslänglich«, beendete Henry meinen Gedanken seufzend, und ich musste lachen. »Aber wenigstens hängt Mariah heute Abend mal mit deiner Schwester ab.«
Schlagartig verging mir das Lachen. »Was?«
Henry zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Irgend so âne Party. Hab nur gehört, wie Mariah am Telefon Blake angebrüllt hat, dass sie June noch am Kino abholen müssen.«
Noch nie hatte ich mich in meinem Körper so anwesend gefühlt wie in diesem Moment. »June wollte mit deiner Schwester zu âner Party?«
»Nehm ich mal an.«
»Aha«, sagte ich, aber ich bekam ein seltsam kribbeliges Gefühl in den Knochen. Mariah und June waren mit Blake unterwegs und keiner war dabei, der ein Auge auf sie hatte. Ich war mir zu 99,9 Prozent
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