Die außergewoehnlichen Geheimnisse von April, May & June
schleppen, in dem sich die Leute gegenseitig zerfleischen? Ha. Du bist vielleicht ân Komiker.«
Julian grinste, und mir ging in dem Moment auf, dass wir gerade unsere zweite Verabredung besprachen. Er war offenbar dabei, mich wieder einzuladen, und ich war mir nicht sicher, ob ich das deshalb wusste, weil ich diese Vision schon gesehen hatte, oder wegen Julians Gesichtsausdruck.
»Okay«, sagte er. »Wenn ich dir verspreche, dass wir uns nix Blutrünstiges angucken, hättest du dann noch mal Lust?«
Ich fing an, meine Serviette in kleine Stückchen zu zupfen. »Ãhm«, machte ich und klang wahrscheinlich wie der letzte Dorftrottel. »Ja schon, es ist nur â¦Â«
Julian lehnte sich zurück und fuhr sich mit der Hand durch seine dunklen Haare. »Oh.«
»Nein, nein, so meinte ich das nicht«, sagte ich schnell. »Es ist nur â¦Â« Ich holte tief Luft und überlegte, wie ich ihm etwas sagen konnte, ohne ihm etwas zu sagen. »Es ist in letzter Zeit alles so sonderbar. Bei mir zu Hause.«
»Ach so?«
Ich nickte. »Ja. WeiÃt du, meine Eltern, also, die haben sich vor ein paar Monaten scheiden lassen. Deshalb sind wir hergezogen. Und dann war alles bloà noch krass. Also richtig krass. Ich kann dir nicht mal erklären, wie krass alles ist, also glaub mir bitte einfach.«
»So krass wie der Film, den wir grad gesehen haben?«
»Schlimmer. So krass wie â¦Â«
Ich wünschte mir so sehr, es ihm zu sagen. Ich wollte ihm alles erzählen, dass meine Schwestern und ich gesegnet oder verflucht oder heimgesucht oder sonst was waren, jedenfalls irgendwas, was wir vorher nicht waren. Ich brauchte jemanden, mit dem ich meine Last teilen konnte, bevor ich sie fallen lieà und alles zu Boden ging.
Ich holte tief Luft. »Also, meine Schwestern und ich, wir haben diese â¦Â«
Kaffeesahne überall, sie läuft an der Selbstbedienungstheke in dicken, fetten Tropfen herunter, den Leuten über die Schuhe â¦
»Na, Spitze«, sagte ich, ohne nachzudenken, und zwei Sekunden später stieà so ein Typ die Sahnekanne um und, war ja klar, dann war alles voller Kaffeesahne.
Julian starrte mich an, als ich das sagte, und drehte sich gerade rechtzeitig in meine Blickrichtung um, um das Drama mit anzusehen. »Oh, Mist«, seufzte er. »Ein Glück, dass ich da schon getankt hatte.«
Die Vision erinnerte mich aber daran, dass ich schon seit fast einer Stunde nichts mehr von May oder June gesehen hatte. Julian beugte sich hinüber, um dem Pechvogel ein paar von unseren Servietten zu reichen, und ich senkte den Blick, schloss die Augen und versuchte, irgendwas zu empfangen. Aber alles, was ich sah, war June, wie sie neben Mariah in der Küche stand, lachte und total glücklich aussah. Nichts anderes als das, was ich schon die ganze Woche lang sah, dieselbe blöde Vision, die meine schlimmsten Befürchtungen einfach nicht bestätigen wollte. Also holte ich tief Luft und klinkte mich wieder aus.
June ging es gut und May auch. Ich konnte bei beiden keine Gefahr erkennen. Es musste also alles in Ordnung sein.
»Alles okay?«, fragte Julian und sah mich aufmerksam an.
»Alles okay«, antwortete ich instinktiv.
»WeiÃt du, manchmal hast du wirklich einen ganz merkwürdigen Blick«, sagte er. »Als ob du vorm Fernseher hockst.«
»Echt?«, entfuhr es mir. »Seh ich echt so aus?« Ich wurde rot. So genau studierte er also mein Gesicht?
»Irgendwie schon.« Julian lehnte sich zurück und nahm seinen Kaffee. »Also, deine Eltern haben sich scheiden lassen und jetzt ist alles krass. Und wieso bedeutet das, dass du nicht mehr mit mir ins Kino gehen kannst?«
Unbehaglich rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her. »Du bist ziemlich direkt, oder?« Ich versuchte, Zeit zu schinden.
Er hob eine Augenbraue. »Wie sollte ich denn Ihrer Ansicht nach sein, Frau von Kontroll und Zwang?«
Ich musste lächeln, und Julian lächelte zurück. »Natürlich kann ich ins Kino gehen«, sagte ich. »Ich hab nur ⦠es ist eben nur alles so kompliziert. Das Leben ist gerade so verrückt, dass ich nicht mal weiÃ, wer ich eigentlich bin.«
Julian lachte los. »April, keiner weiÃ, wer er eigentlich ist. Jeder hat ein verrücktes Leben. Guck mich doch an, ich bin total verkorkst.«
»Super Argument, damit ich noch mal mit ins Kino geh«, stichelte ich.
»Du
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