Die Aussortierten (German Edition)
kapitalistischen Diktatur! Und Sie wollen mir erzählen, dass Sie gegen ihr schönes Beamtengesetz verstoßen und uns verschonen, wenn wir jetzt aufhören? Und das bloß, weil ich Ihnen sympathisch bin? Man, Sie sind Bulle! Glaube Sie etwa, ich nehme Ihnen das ab?“
Als de Wall in Konstanz aus dem Zug stieg, wurde er herzlich von Judith und ihrem Mann am Bahnhof empfangen. Es hätte ein so schönes Wochenende werden können. Aber de Wall musste geradezu zwanghaft immer wieder an sein Erlebnis im Zug denken. Schließlich sprach ihn Judith an, was denn eigentlich los sei. Und er erzählte ihr von dem Desaster.
11. Kapitel
Die Aussprache
Als de Wall am darauffolgenden Montag um 9 Uhr ins Büro kam, empfing ihn Tessa gleich nach dem „Guten Morgen“ mit dem Satz „Tauber ist wieder da. Er will dich sofort sprechen.“ De Wall, der gewöhnlich frühmorgens Besprechungen hasste, freute sich, als er dies hörte. Er hatte gerade seine Jacke an der Garderobe aufgehängt, als auch schon sein Telefon klingelte. Auf dem Display sah er, dass es Tauber war. Er nahm den Hörer ab und sagte nur „Bin sofort da. Bis gleich.“
Auf dem Weg zu Taubers Büro dachte de Wall darüber nach, was ihn wohl bei Tauber erwartete. Er hielt es für nötig, jetzt endlich mit offenen Karten zu spielen. Tauber musste jetzt reden! So konnte es nicht mehr weitergehen! Er wollte endlich wissen, was Tauber für Motive hatte, warum er nicht wollte, dass „Die Aussortierten“ ermittelt wurden. Und er wollte auch nicht mehr die Sache ganz allein mit sich ausmachen müssen.
Als de Wall Taubers Büro betrat, sah er, dass der Gästetisch vollständig eingedeckt war. Tee, Kekse und Taubers Edelpralinen in offener Schachtel auf dem Tisch! De Wall war sofort klar, dass Tauber heute reden würde – und entspannte sich.
„Morgen Ulli. Komm, setzt dich!“
„Wieder richtig auf dem Damm?“
„Ja, jetzt geht’s wieder. War `ne ziemlich scheußliche Grippe. So schlimm hatte es mich noch nie erwischt. Man merkt, das Alter kommt auf leisen Füßen heran und schwächt den Körper. Früher hätte mich das nicht so lange umgehauen.“
„Ist aber gut, dass du es ausgiebig auskuriert hast. Eine verschleppte Grippe kann auch auf’s Herz gehen.“
„Stimmt. Ulli, ich hab mich bereits auf den neuesten Stand gebracht wegen der Ermittlungen zu den Aussortierten. Wir stehen da ja ganz schön unter Druck.“
„Ja.“
„Und deshalb müssen wir heute unbedingt Klartext reden. Ich brauche deinen Rat.“
„Meinen Rat?“
„Ja. Ulli, wir kennen uns schon lange und schätzen uns. Ich weiß, dass wir sehr ähnlich denken. Und ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann. Deshalb habe ich bei unserem Auftaktgespräch zu diesem Fall auch ohne zu zögern durchschimmern lassen, dass ich durchaus eine gewisse Sympathie für diese Gruppe empfunden habe.“
Tauber unterbrach, nahm einen Schluck Tee, aß zwei Pralinen, guckte nach rechts oben, atmete tief durch, lehnte sich leicht nach vorne und fuhr in leisem Ton fort: „Und dass ich durchaus nicht unzufrieden wäre, wenn die Ermittlungen im Sande verlaufen und nichts dabei raus kommt.“
Tauber lehnte sich wieder zurück. De Wall wollte was sagen, aber Tauber wehrte mit einer Handbewegung ab.
„Ich weiß, ich kann dir vertrauen und dass du in meinem Sinne handelst.“ Tauber beugte sich wieder vor und sprach jetzt sehr leise. „Aber: Ich habe diese ganze Geschichte unterschätzt. Das läuft aus dem Ruder. Und ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich dich da in eine Sache mit reingezogen habe, die nur mich was angeht. Ich nehme an, dir war klar, dass ich meine Andeutungen, bei den Ermittlungen müsse nicht unbedingt etwas rauskommen, nicht aus Gründen der politischen Selbstverwirklichung gemacht habe?“
„Ja.“
„Dann will ich dir jetzt erzählen, was wirklich dahintersteckt. Du erinnerst dich, dass ich dir von meinem Nachbarn erzählt habe? Der, der arbeitslos wurde und von der ARGE systematisch fertig gemacht wurde. Und schließlich mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus kam.“
De Wall nickte.
„Der Nachbar ist übrigens gestorben.“
„Oh Gott!“
„Ja, und er wäre mit Sicherheit noch am Leben, wenn ihn die ARGE nicht so fertig gemacht hätte. Weißt du, was ich da erlebt habe, das lässt mich wirklich bedauern, dass ich Beamter geworden bin und diesem Staat dienen muss. Es ist
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