Die Aussortierten (German Edition)
hätte, wie die Welt sich verändert hat. Aber er hätte das nie so cool sagen können, und schon gar nicht tun können.“
„Da siehst du mal,“ grinste de Wall, „wozu ein Soziologiestudium gut ist. Bringt zwar keine Kohle, aber es erweitert doch den Horizont.“
„Komm, darauf trinken wir einen!“ erwiderte Tauber und holte zwei Gläser und eine Flasche Sherry aus dem Schrank, goss ein, und erhob das Glas.
„Auf die Soziologie.“
„Auf die Soziologie.“
12. Kapitel
Das Rendezvous
Nun war schon wieder eine Woche vergangen und de Wall war gerade dabei, den Montag als Arbeitstag abzuschließen und seine Sachen zu packen, als Tessa in sein Büro kam.
„Hallo Tessa. Sag jetzt bitte nicht, ich muss noch was machen. Ich will nach Hause.“
„Nein, nein. Ich wollte nur mal eben reinschauen.“
„Na Gott sei Dank. Ich dachte, du bringst mir wieder Arbeit mit.“
„Nee, nee. Ich wollt nur mal so reinschauen und mal eben ein paar Worte wechseln unter Kollegen. Wie geht’s denn so?“
„Danke. Ganz ordentlich.“
„Ich hatte einen Scheißtag. Die Einzelheiten erspar ich dir lieber. Was machst du denn heute abend so?“
„Weiß ich noch nicht. Wahrscheinlich vor dem Fernseher abhängen, vielleicht lesen, keine Ahnung.“
„Wie hast du dich denn hier eigentlich so wieder eingelebt?“
„Och, geht so. Ich bin ja hier aufgewachsen und kenn mich hier gut aus. Was ein bisschen nervig ist, in meinem Alter ist ja alles verheiratet und hat Kinder. Da kann man nicht mehr so ohne Weiteres mal eben abends in die Kneipe gehen oder einfach mal eine Nacht an der Küste verbringen oder was auch immer. Die sind jetzt alle gesetzter, interessieren sich für Hausbau, Baukreditzinsen, Windeln, was hier die beste Schule ist usw. Da findest du in Berlin eben auch ganz andere Milieus, die es hier kaum gibt. Man könnte es natürlich auch so sehen, dass ich zurückgeblieben bin, noch nicht richtig erwachsen, und mich deshalb nicht für Hausbau, Windeln usw. interessiere.“
„Also fühlst du dich etwas einsam?“
„Das will ich nicht unbedingt sagen. Ich bin nur ein Typ, der etwas zwischen den Stühlen sitzt. Ich mag das Landleben und die Provinz, aber ich habe auch die Großstadt Berlin genossen. Allerdings auch darunter gelitten. Ich würde sagen: Ich fühl mich ein wenig heimatlos. Das was Landleben mal war, wird es nie wieder geben. Die alte schöne Dorfarchitektur, oft aus der Not geboren, verschwindet immer mehr. Die Neubausiedlungen sind meist ein wildes Durcheinander von Stilen, so dass überhaupt kein Ensemble entsteht, das das Auge anspricht. Wo früher kleine, idyllische Getreidefelder waren, sind heute entweder Neubausiedlungen oder riesige Maismonokulturen zu finden. Die industriealisierte Landwirtschaft fordert eben ihren Tribut. In meiner Heimatgemeinde Wardenburg wird auf riesigen Flächen fast nur noch Mais für Biogasanlagen angebaut. Aber man kann es den Bauern ja nicht mal übelnehmen. Die wollen halt überleben. Und wenn unser feiner Staat es zulässt, dass Aldi, Lidl usw. wie ein Riesenkartell die Landwirte ausbeutet, dann müssen wir eben auch damit leben, dass die Landwirte die Landschaften versauen, weil sie für eine gesunde Landwirtschaft nicht ausreichend bezahlt werden. Aber was mich wirklich stört, was ich früher gar nicht so wahrgenommen habe, das ist dieser Drang, die Natur ‚ordentlich’ zu halten. Da wird geradezu zwanghaft an Bäumen rumgesägt. Die Gärten sehen oft aus, wie mit dem Geodreieck abgemessen. Die Grashalme grüßen militärisch korrekt. Na ja, und auf dem Dorf findet eben nach wie vor soziale Kontrolle statt. Du wirst es nicht für möglich halten, neulich fragte mich doch tatsächlich ein Nachbar, wann ich denn endlich meine Fenster putzen würde!“
„Das habe ich allerdings auch in Oldenburg erlebt,“ lachte Tessa. „Und mit der Baumsägerei ist das hier in der Stadt auch nicht besser. Hier sägen die auch wie blöd rum. Wahrscheinlich hat das den banalen Grund, dass der Bauhof irgendwie beschäftig werden muss.“
„Das könnte allerdings sein. Und was die soziale Kontrolle angeht: Oldenburg ist ja auch ein Dorf. Auch wenn das Oberbürgermeisterchen meint, wir seien der Mittelpunkt der Welt. Natürlich nicht, weil Oldenburg so eine tolle Stadt wäre. Sondern nur, weil wir einen so hochbegabten OB haben, auf den die ganze Welt schaut.“
„Du hast aber auch einen
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