Die Aussortierten (German Edition)
überprüfen. Priorität haben dabei die Leute, die aus der gehobenen bürgerlichen Mittel- und Oberschicht kommen. Soweit man dies überhaupt erkennen kann. Also wenn ihr durch passende Rechnungsbelege auf Söhne von Leuten trefft, die in der Stadt oder Region durch ihren Job bekannt sind, Bankvorstände, Professoren, Chefärzte und so weiter, dann nehmt zuerst die dran. Und habt bloß keine Hemmungen. Beschwerden könnt ihr gleich an mich weiterleiten. Ich sage das nicht ohne Grund: Ihr werdet möglicherweise auch auf unsere eigenen Bonzen stoßen, wie zum Beispiel Oberstaatsanwälte. Die werden tief beleidigt sein, wenn ihre Sprösslinge von uns überprüft werden und Radau machen. Deshalb noch mal ganz deutlich: Lasst Euch nicht einschüchtern! Meine Rückendeckung habt ihr. Und was auch immer für ein Ärger kommen sollte: Ich steh dafür gerade. Keiner von Euch wird die Prügel einstecken müssen, wenn es dazu kommen sollte. So, und jetzt Freiwillige vor.“
Es fand sich mühelos ein Team von fünf Freiwilligen.
21. Kapitel
Ein schwieriges Gespräch
De Wall saß in seinem Büro und las gerade die Dienstpost, als es anklopfte. Nachdem er „Ja“ gerufen hatte, steckte Tessa den Kopf durch die Tür.
„Darf ich dich einen Moment sprechen?“
„Ja klar. Komm rein.“
„Soll ich uns einen Tee machen?“
„Gute Idee!“
„Dann bin ich gleich wieder zurück.“
Zehn Minuten später kam Tessa mit einem Tablett zurück. De Wall holte aus seinem Schrank ein paar Kekse, die er für solche Gelegenheit bei seinem Lieblingsbäcker gekauft hatte. Und dann genossen sie erst einmal schweigend die gute ostfriesische Teemischung.
„Wolltest du was Bestimmtes, oder wolltest du einfach ein bisschen quasseln?“, fragte de Wall schließlich.
„Sowohl als auch. Ich wollte fragen, ob wir uns nicht mal wieder privat treffen können. Ich hätt mich gern mal in Ruhe mit dir unterhalten. Und .....“
„Ja?“
„Na ja, äh, na du bist eben ein angenehmer Gesprächspartner. Ich unterhalte mich gern mit dir.“ Tessa wurde etwas rot im Gesicht.
„Geht mir genauso, Tessa“, antwortete de Wall, und bemühte sich um einen möglichst sachlichen Tonfall, weil er spürte, dass Tessa jetzt genau das brauchte.
„Wie wäre es denn mit heute Abend bei mir? Und mit einem prosaischen aber guten Gericht: Selbstgemachte Kartoffelpuffer mit selbstgemachtem Apfelmus?“
„Hervorragend! Ich sorg dann für eine gute Nachspeise. Wäre Eis ok?“
„Ja.“
„Und wie sieht’s mit Zigaretten aus?“
„Vorhanden.“
„Prima. Ich könnte mir nämlich vorstellen, dass ich anschließend noch Lust auf eine Zigarette hätte.“
„Ich auch“, erwiderte de Wall. Und fragte sich im Geiste, was sie mit „anschließend“ meinte.
„Das waren die besten Kartoffelpuffer, die ich je gegessen habe. Wenn du mal keine Lust mehr hast, Bulle zu sein, solltest du es als Gastwirt versuchen.“
„Nee lieber nicht. Kochen ist schön, wenn man für sich und Gäste kocht, aus Lust am guten Essen und Geselligkeit. Aber wenn das zur Arbeit wird, nee danke. Sag mal, möchtest du auch noch einen Espresso? Dann schmeckt die Zigarette nämlich noch ein bisschen besser. Dann würde ich uns jetzt mal einen aufsetzen.“
„Oh ja. Kann ich derweil mal in deinen Büchern herumstöbern?“
„Nur zu.“
Als er mit einem Tablett wieder hereinkam, hatte sie gerade „Die feinen Unterschiede“ von Bourdieu in der Hand.
„Mein Gott, dass du dieses Zeug lesen magst. Das ist ja vollkommen unverständlich. Ich dachte immer, nur die Juristen würden sich grauenvoll ausdrücken. Aber die sind ja geradezu eine amüsante Urlaubslektüre im Vergleich zu diesem Schinken.“
„Ich weiß, ich weiß. Ich finde diesen Stil auch grässlich. Und je länger ich aus der Uni raus bin, desto mehr hasse ich diesen sterilen wissenschaftlichen Stil. Wobei man sagen muss, dass Bourdieu wirklich einsame Spitze ist, was die Abstraktheit und Kompliziertheit seiner Sprache angeht. Das muss eigentlich nicht sein, auch wenn er das immer wieder behauptet. Aber wenn man mal vom Stil absieht, der Inhalt ist wirklich eine lohneswerte Lektüre. Und es gibt ein paar Titel von ihm, die einfacher sind, mit Vorträgen, Interviews und so. Aber im Moment kann ich das Zeug auch nicht mehr sehen.“
Er setzte sich, verteilte das Geschirr auf den Tisch und schenkte den
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