Die Australierin - Von Hamburg nach Sydney
Tinte. Doch was sollte sie ihm schreiben? Die passenden Worte wollten ihr nicht einfallen, deshalb legte sie die Feder wieder beiseite.
Rieke kam und half ihr, sich auszuziehen. Das Mädchen war ungewöhnlich still, doch das fiel Emilia, die auch in ihre Gedanken versunken war, erst auf, als Rieke ihr die Haare bürstete und zu einem dicken Zopf flocht.
»Ist etwas passiert?«, fragte Emilia das Mädchen.
»Ach.« Rieke verzog den Mund. »Nein.«
»Das glaube ich dir nicht.« Emilia drehte sich zu ihr um. »Nun sag schon, welche Laus dir über die Leber gelaufen ist.«
»Mien Kerl, der Schiffer, der ist wieder da.«
»Der Matrose?«
Rieke nickte. »Jo. Da taucht der Schadderbüddel einfach inne Köke auf. Ist dat die Möglichkeit?«
»Er war hier in der Küche?«
»Jo.«
»Und was hat er gewollt?«
»Er will mik freien.« Rieke senkte den Kopf.
»Was?« Emilia riss die Augen auf. »Bekommt er denn eine Heiratserlaubnis?«
»Ik glöb nich.«
»Und wie soll das dann gehen?«
»Hach, er schnackt nur dummes Zeuch. Nach Amerika will er. Da will er sein Glück machen und mitnehmen will er mich. Der daddelt doch nur Unfug.«
»Würdest du denn wollen?«
»Was? Weggehen?« Rieke biss sich auf die Lippen. »Weeß ik nich. Ich bin doch en Bangbüx. Und dann die lange Fahrt und auf som Schipp, wat da alls passieren kann. Ach nä.«
»Und der Matrose? Was ist mit ihm?«
»Ihn, ja nu, ihn dauert alles, das Malheur mit dem Gör und so. Dat er weggeloopen is und mich hier hat lassen, dat verdrütt ihn wohl.«
»Es tut ihm leid?« Emilia lachte höhnisch. »Das sollte es auch. Aber nun will er sich um dich kümmern?«
Rieke nickte.
»Und willst du das?«
»Ik bin wohl verkiekt in ihn.« Rieke wurde rot.
»Du bist in ihn verliebt? Nach all dem, was er dir angetan hat? Dein armes kleines Kind ist gestorben.«
»Ja, das weeß ik ook. Aber da kann er ja nix für. Was hätt er denn sollen machen? Heiraten konnt er mich nitt.«
»Er hätte für dich sorgen können und für das Kind. Er hätte sich eine Arbeit suchen müssen und für euch da sein sollen, das wäre richtig gewesen.«
»Weeß ik und des weeß er ook. Es war schannerlich von ihm, wegzuloopen. Aber nun is er ja wieder da. Und was mach ich nu?«
»Ach, was für ein Schlamassel, Rieke. Liebst du ihn denn wirklich?«
Rieke nickte zögerlich.
»Schlaf darüber. So eine Entscheidung sollte man nicht über das Knie brechen.«
Als sie im Bett lag, musste Emilia immer wieder an Rieke denken. Ob das Mädchen in Amerika eine bessere Zukunft hatte? Man las und hörte so viel. Manch einer fand sein Glück dort drüben, aber andere hatten Pech. Hier, in Hamburg, würde es erst recht keine Zukunft für die beiden geben. Ein Matrose verdiente meist nicht genug, um eine Familie zu Hause ernähren zu können. Wenn die Familien ein Häuschen mit einem Wirtschaftsgarten hätten, wo Rieke wohnen könnte, während ihr Mann auf See war, dann würden sie vielleicht die Erlaubnis bekommen, die Ehe zu schließen. Doch dann ginge es Rieke wie vielen anderen Frauen von Seemännern – sie würde Tag um Tag, Monat um Monat, manchmal sogar jahrelang auf ihren Mann warten. Ihre Gedanken wanderten weiter zu Kapitän Lessing. Schon bald würde auch er wieder zur See fahren. Sie ärgerte sich darüber, dass ihre Tante ihr verboten hatte, Kontakt zu ihm zu halten.
Ich werde einen Weg finden, dachte sie.
Am nächsten Tag läutete die Türglocke. Emilia ging die Treppe hinunter, als sie schon die Stimme ihrer Tante hörte.
»Kapitän Lessing, meine Nichte ist nicht zu Hause.«
»Darf ich später noch einmal vorsprechen?«, fragte er.
»Ich weiß, dass Ihr mit meiner Nichte Briefe ausgetauscht habt,dass Ihr literarische Diskussionen geführt habt. Aber bald schon wird Emilia kaum noch Zeit für solche Dinge haben. Sie ist so gut wie verlobt und wird sicherlich schon verheiratet sein, wenn Ihr das nächste Mal Hamburg anlauft. Es ist für Euch genauso wie für sie nicht sinnvoll, die Bekanntschaft zu vertiefen. Ich wünsche Euch einen guten Tag.« Dann wurde die Tür geschlossen.
Emilia schnappte wütend nach Luft. Verlobt? Und bald verheiratet?
»Hinrich«, hörte sie die Tante sagen, »ich muss dich doch bitten, deine Geschäfte mit dieser Art Klientel im Kontor an der Werft zu führen und nicht hier bei uns zu Hause. Emilia hat einen Narren an diesem struppigen Seemann gefressen, weiß der Himmel, wieso.«
»Mach dir keine Sorgen, meine Liebe«, erwiderte Onkel Hinrich.
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