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Die Auswahl. Cassia und Ky

Titel: Die Auswahl. Cassia und Ky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Condie
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mehr gäbe. Ich weiß nicht, wo sie das aufgenommen haben, aber es ist beinahe lächerlich, wirkt hoffnungslos übertrieben: ausgedörrte rote Erde, schäbige kleine Häuser, einige wenige, mürrische, traurig dreinblickende Schauspieler, die durch die unsicheren, fast menschenleeren Straßen wandern. Dann tauchen plötzlich wie aus dem Nichts bedrohliche schwarze Flugzeuge in der Luft auf, und die Leute rennen schreiend davon, während im Hintergrund die Hymne der Gesellschaft abgespielt wird, schnörkelige hohe Töne über einer dominanten Basslinie, die auf den Gefühlen herumhämmert.
    Die Szene wirkt aufgesetzt, fast grotesk, vor allem im Vergleich zu dem ruhigen Geschehen bei Großvater, das ich am Sonntag miterlebt habe. So sieht der Tod nicht aus. Einer der Schauspieler lässt sich dramatisch zu Boden fallen, abstoßende rote Blutflecken überall auf der Kleidung. Ich höre, wie Xander neben mir schnaubend auflacht; er empfindet genauso wie ich. Mit einem schlechten Gewissen, weil ich ihn so lange nicht beachtet habe, drehe ich mich zu Ky, und will auch mit ihm zusammen darüber lachen.
    Er weint. Lautlos.
    Eine Träne läuft über seine Wange. Er wischt sie so schnell weg, dass ich fast unsicher werde, ob sie wirklich da war – aber doch, sie war da. Ich habe sie gesehen. Und jetzt kommt die nächste Träne, die er ebenso schnell wegwischt wie die vorherige. Seine Augen sind so voller Tränen, dass er bestimmt nichts mehr sehen kann. Aber er wendet den Blick nicht von der Leinwand ab.
    Ich bin es nicht gewohnt, jemanden leiden zu sehen. Ich drehe mich weg.
    Als der Film zu Ende ist und der Überlandflug vom Anfang noch einmal wiederholt wird, atmet Ky tief durch. Irgendetwas muss ihm sehr wehgetan haben. Ich schaue nicht mehr zu ihm hinüber, bis die Lichter im Kino wieder aufleuchten. Als es so weit ist, wirkt er ruhig und gefasst – der alte Ky, wie ich ihn kenne. Oder besser: wie ich ihn glaubte zu kennen.
    Niemand sonst hat etwas bemerkt. Ky weiß nicht, dass ich ihn beobachtet habe.
    Ich sage nichts. Ich stelle ihm keine Fragen. Ich wende mich ab. So bin ich. Obwohl Großvater glaubte, ich könnte auch anders sein. Dieser Gedanke huscht mir durch den Kopf, wie ein Seitenblick, wie ein blaues Aufblitzen neben mir. Ky. Beobachtet er mich? Wartet er darauf, dass unsere Blicke sich noch einmal begegnen?
    Ich warte einen Moment zu lange, bis ich mich wieder umdrehe. Da sieht Ky mich schon nicht mehr an. Falls er es überhaupt getan hat.

KAPITEL 9

    Z wei Tage später stehe ich mit einer Gruppe anderer Schüler vor dem Hauptgebäude des Arboretums. Rings um uns herum steigt Frühnebel auf, und wie aus dem Nichts tauchen die Umrisse von Menschen und Bäumen auf.
    »Bist du schon mal gewandert?«, fragt mich das Mädchen neben mir. Ich kenne sie nicht, also muss sie in einer anderen Siedlung wohnen und auf eine andere Schule gehen.
    »Nein, nicht wirklich«, antworte ich. Ich bin für einen Moment abgelenkt, weil sich die Silhouette von Ky Markham aus dem Nebel löst. Er bewegt sich leise und kraftvoll. Vorsichtig. Als er mich sieht, hebt er die Hand und winkt mir zu. Offenbar hat auch er Wandern als Sommeraktivität gewählt. Nach einer kurzen Pause, in der ich lächelnd zurückwinke, füge ich hinzu: »Nein. Bisher bin ich nur spazieren gegangen, nie gewandert.«
    »
Niemand
ist je zuvor gewandert.« Lon, eine Nervensäge aus meiner Schule, gibt seinen Senf dazu. »Es wurde jahrelang nicht angeboten.«
    »Mein Großvater kannte sich gut damit aus«, sage ich.
    Lon weiß nicht, wann er besser die Klappe halten sollte. »
Kannte?
Vergangenheit? Ist er tot?«
    Bevor ich antworten kann, baut sich ein Offizier in militärgrüner Uniform vor uns auf und räuspert sich. Er ist schon älter und hat raspelkurzes weißes Haar und olivfarbene Haut. Seine Hautfarbe und Haltung erinnern mich an Großvater.
    »Guten Morgen«, sagt der Offizier, in einem Tonfall, der genauso kurz und stachelig ist wie seine Haare. Er klingt unfreundlich, und mir wird klar, dass die Ähnlichkeiten mit Großvater nicht über die Äußerlichkeiten hinausgehen. Ich muss aufhören, nach Großvater zu suchen. Er wird mir nicht zwischen den Bäumen erscheinen, egal, wie sehr ich es mir auch wünsche. »Ich bin Ihr Ausbilder. Sie werden mich mit ›Sir‹ ansprechen.«
    Lon fragt vorlaut: »Dürfen wir auf den Hügel steigen?«
    Der Offizier starrt ihn grimmig an, und Lon hält endlich die Klappe.
    »Niemand«, sagt der Offizier, »spricht

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