Die Auswahl. Cassia und Ky
den Decken hindurch und begrüßen unsere Klassenkameraden und Freunde. Alle sind guter Laune und ein bisschen aufgekratzt, weil alles so anders ist. Ich bin so damit beschäftigt, niemandem auf die Decke oder ins Essen zu treten, dass ich gegen Xander pralle, als der plötzlich stehen bleibt. Er dreht sich um und grinst mich über die Schulter hinweg an. »Wegen dir habe ich fast mein Abendessen fallen gelassen«, neckt er mich, und ich versetze ihm einen kleinen Schubs. Er lässt sich auf die Decke neben Em fallen, beugt sich über sie und wirft einen Blick in ihren Alubehälter. »Was gibt es denn heute?«
»Eintopf mit Fleisch und Gemüse«, antwortet Em und verzieht das Gesicht.
»Denkt an das Eis«, gebe ich zu bedenken.
Ich bin fast fertig mit Essen, als jemand von der anderen Seite des Rasens aus Xander etwas zuruft. »Ich komme gleich wieder«, sagt er, steht auf und geht hinüber. Ich folgte ihm mit den Blicken auf seinem Slalomkurs durch die Menge. Viele drehen sich um, schauen ihm nach und rufen seinen Namen.
Em lehnt sich zu mir und sagt: »Ich glaube, irgendetwas stimmt nicht mit mir. Ich habe heute Morgen die grüne Tablette genommen.
Jetzt schon.
Dabei wollte ich sie eigentlich für das Wochenende aufheben. Du weißt schon.«
Beinahe hätte ich einen Fehler gemacht und Em gefragt, was sie meint. Sofort fühle ich mich wie eine treulose Freundin, denn wie konnte ich das vergessen? Am Wochenende ist ihr Paarungsbankett! Sie wollte die Tablette für diesen Abend aufsparen, weil sie langsam nervös wird.
»Em«, sage ich, lege meinen Arm um sie und drücke sie an mich. Wir haben uns in letzter Zeit ein wenig voneinander entfernt, aber nicht absichtlich. So etwas passiert einfach, wenn der Zeitpunkt näher rückt, an dem man erfährt, welcher Beruf für einen ausgewählt wurde und man schließlich seine Arbeitsstelle erhält. Aber ich vermisse sie, besonders an Abenden wie diesem. Sommerlichen Abenden, an denen ich daran denke, wie es war, als wir jünger waren und mehr Zeit hatten. Damals verbrachten Em und ich viele unserer Freizeitstunden gemeinsam. Wir hatten einfach mehr davon.
»Es wird ein wunderbarer Abend«, rede ich ihr gut zu. »Das garantiere ich dir. Alles ist wunderschön, es ist wirklich genau so, wie es uns immer versprochen wird.«
»Wirklich?«, fragt Em.
»Ja, ehrlich. Welches Kleid hast du dir ausgesucht?« Die Kleider werden nur alle drei Jahre neu designt, so dass Em ihres aus demselben Pool ausgewählt haben muss wie ich.
»Eines von den gelben. Die Nummer vierzehn. Erinnerst du dich daran?«
Es ist so viel geschehen, seitdem ich im Paarungsbüro stand und mein Kleid ausgesucht habe! »Nein, ich glaube nicht«, antworte ich nachdenklich.
Em klingt ganz aufgeregt, als sie mir das Kleid beschreibt. »Es ist ganz hellgelb, es ist das mit den Schmetterlingsärmeln …«
Jetzt weiß ich es wieder. »Oh, Em, dieses Kleid fand ich wunderschön. Du wirst umwerfend darin aussehen.« Ja, das wird sie. Gelb ist die perfekte Farbe für Em, sie passt wunderbar zu ihrer hellen Haut, ihren schwarzen Haaren und den dunklen Augen. Sie wird aussehen wie der Sonnenschein, wie ein heller Frühlingstag.
»Ich bin so schrecklich aufgeregt!«
»Ich weiß. Ich glaube, das geht jedem so.«
»Seitdem du mit Xander gepaart bist, ist alles anders«, seufzt Em. »Da fragt man sich unwillkürlich – du weißt schon.«
»Aber nur weil ich mit Xander gepaart bin, heißt es noch lange nicht, dass …«
»Ich weiß. Wir alle wissen das. Aber trotzdem machen wir uns unsere Gedanken.« Em blickt auf ihren Alubehälter, auf ihr fast unberührtes Abendessen.
Ein Gong ertönt aus den Lautsprechern, und automatisch fangen wir alle an, unsere Sachen zusammenzuräumen. Zeit, an die Arbeit zu gehen. Em seufzt und steht auf. Sie wirkt noch immer besorgt, und ich erinnere mich daran, wie ich mich gefühlt habe, als ich auf meine Paarung gewartet habe.
»Em«, sage ich impulsiv. »Ich habe ein Artefakt – eine Puderdose. Wenn du willst, leihe ich sie dir für dein Bankett. Sie ist golden. Sie würde perfekt zu deinem Kleid passen. Ich bringe sie dir morgen rüber.«
Em reißt die Augen auf. »Du hast ein Artefakt? Und das würdest du mir leihen?«
»Natürlich. Du bist meine beste Freundin.«
In Plastikwannen warten junge, rotblühende Neorosen darauf, von uns in die Beete vor der Grundschule gepflanzt zu werden. Grundschulen sehen immer so fröhlich aus. Ich kann mir das Innere gut vorstellen:
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