Die Auswahl. Cassia und Ky
Nervosität besteht. Ich sehe mich um, aber niemand beachtet uns, und selbst wenn, hätte man nur zwei schemenhafte Gestalten gesehen, die ziemlich nah beieinander sitzen, während die Nacht hereinbricht.
Also lehne auch ich mich näher zu ihm.
Und wenn ich irgendeine Bestätigung bräuchte, dass die Gesellschaft genau weiß, was sie tut, dass dies der richtige Partner für mich ist, dann würde mich spätestens Xanders Kuss restlos überzeugen. Es fühlt sich gut an, genau richtig und noch viel schöner, als ich mir erträumt habe.
***
Ein Gong tönt über den Schulhof. Xander und ich lösen uns voneinander und blicken uns an. »Uns bleibt immer noch eine Freistunde«, sagt Xander mit einem Blick auf seine Uhr. Offen und ohne jede Verlegenheit sieht er mich an.
»Ich wünschte, wir könnten noch hierbleiben«, seufze ich aus tiefstem Herzen. Die Luft hier draußen fühlt sich so warm auf meinem Gesicht an. Es ist echte Luft, keine, die gekühlt oder erwärmt wurde, damit wir uns wohlfühlen. Und nach Xanders Kuss, meinem ersten richtigen Kuss, drücke ich die Lippen aufeinander und versuche, ihn noch einmal zu schmecken.
»Sie werden es nicht erlauben«, sagt er, und ich weiß, dass er recht hat. Die Arbeiter sammeln schon die Eisbecher ein und fordern uns auf, unsere Freizeitstunde anderswo zu verbringen, weil es hier allmählich dunkel wird.
Em löst sich von der Gruppe der anderen und läuft leichtfüßig auf uns zu. »Sie wollen sich das Ende der Vorführung ansehen«, sagt sie, »aber ich habe keine Lust dazu. Was macht ihr?« In diesem Moment sieht sie uns schuldbewusst an, denn ihr scheint wieder einzufallen, dass Xander und ich gepaart sind. Sie hat es glatt vergessen und macht sich jetzt Sorgen, dass sie uns stören könnte.
Aber Xanders Stimme klingt freundlich, selbstverständlich und nett. »Zum Spielen bleibt auch nicht genug Zeit«, sagt er. »In der Nähe ist eine Konzerthalle, nur eine Haltestelle weiter. Sollen wir da hingehen?«
Em wirkt erleichtert und wirft mir einen kurzen Blick zu, um sicherzugehen, dass ich einverstanden bin. Ich lächele sie an. Natürlich bin ich einverstanden. Schließlich ist und bleibt sie unsere Freundin.
Auf dem Weg zur Haltestelle denke ich daran, wie es war, als wir noch mehrere waren in unserer Clique. Doch dann bekam erst Ky seine Arbeitsstelle, dann folgte Piper. Wo Sera heute Abend steckt, weiß ich nicht. Noch ist Em bei uns, doch eines Tages wird auch sie uns verlassen, und dann bleiben nur Xander und ich übrig.
Es ist lange her, wahrscheinlich Monate, seit ich in einer Musikhalle gewesen bin. Zu meiner Überraschung ist diese hier mit blaugekleideten Leuten gefüllt. Mit Arbeitern, jungen und alten, die von der Spätschicht kommen. Ich nehme an, dass das häufig vorkommt. Wo sollte man sonst hingehen, wenn einem nach der Arbeit nur wenig Zeit bleibt? Bestimmt legen manche auf ihrem Weg von der Stadt nach Hause hier eine Pause ein. Einige von ihnen schlafen, wie ich überrascht feststelle, den Kopf zurückgelegt, müde. Es scheint niemanden zu stören. Einige unterhalten sich.
Ky ist hier.
Ich entdecke ihn sofort in diesem Meer von Blau, fast bevor ich mir überhaupt bewusst bin, dass ich nach ihm Ausschau halte. Auch Ky hat uns entdeckt. Er winkt uns zu, steht aber nicht auf.
Wir setzen uns auf Plätze in seiner Nähe, Em, Xander und ich. Em fragt Xander nach seinen Erfahrungen beim Paarungsbankett aus, immer noch mit dem Bedürfnis, von uns beruhigt zu werden. Xander erzählt ihr eine lustige Geschichte darüber, dass er nicht wusste, wie er an jenem Abend seine Manschettenknöpfe anziehen und seine Krawatte binden sollte. Ich versuche, Ky nicht zu beachten, aber trotzdem bemerke ich, wie er aufsteht und sich zu uns durchdrängt. Ich lächle ihm zu, als er sich neben mich setzt. »Ich wusste gar nicht, dass du so gerne Musik hörst«, sage ich.
»Ich komme oft hierher«, antwortet Ky, »wie die meisten anderen Arbeiter auch, wie dir bestimmt aufgefallen ist.«
»Ist dir das auf Dauer nicht langweilig?«, frage ich, während die klare Stimme der Sängerin immer höher über uns aufsteigt. »Wir haben die Hundert Lieder doch schon so oft gehört.«
»Manchmal klingen sie anders«, behauptet Ky.
»Wirklich?«
»Sie sind anders, wenn du anders bist.«
Ich weiß nicht genau, was er meint, aber plötzlich werde ich von Xander abgelenkt, der mich am Ärmel zupft. »Em!«, flüstert er, und ich blicke zu unserer Freundin hinüber. Sie zittert und
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