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Die Auswahl. Cassia und Ky

Titel: Die Auswahl. Cassia und Ky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Condie
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auf die Wange. »Ich komme wieder zu dir, sobald es an der Tür klingelt.« Der Gedanke an den Funktionär beunruhigt auch ihn ein wenig. Ich male mir aus, wie mein Vater an die Tür geht und sagt: ›Tut mir leid, Sir. Cassia kann heute Abend leider nicht mitkommen.‹ Dabei zwinkert er Xander zu, so dass er weiß, dass mein Vater nicht seinetwegen besorgt ist. Und dann stelle ich mir vor, wie mein Vater leise, aber energisch die Tür schließt und hier zu Hause auf mich aufpasst. In diesen vier Wänden, in denen ich mich so lange Zeit sicher gefühlt habe.
    Aber dieses Haus ist nicht mehr sicher
, gestehe ich mir ein.
In diesem Haus habe ich Kys Gesicht auf dem Mikrochip gesehen. Hier haben sie meinen Vater durchsucht.
    Gibt es irgendeinen sicheren Ort in diesem Viertel? In dieser Stadt, dieser Provinz, dieser Welt?
    Ich widerstehe der Versuchung, mich während des Wartens an die Worte von Kys Geschichte zu erinnern. Er spukt mir schon viel zu oft im Kopf herum, und heute Abend möchte ich ihn außen vor lassen.
    Es klingelt an der Tür. Xander. Und der Funktionär.
    Ich fühle mich irgendwie nicht bereit für diesen Ausflug, aber ich weiß nicht, warum. Oder besser: Ich weiß, warum, will aber weiter darüber nachdenken, weil sich dadurch alles verändern würde. Alles.
    Draußen wartet Xander auf mich. Es trifft mich unvorbereitet, dass dies das Symbol dafür ist, was hier falschläuft. Niemand darf je hereinkommen. Und wenn es dann erlaubt ist, sich nahezukommen, wissen wir nicht, wie wir es richtig anstellen sollen.
    Ich hole tief Luft und öffne die Tür.

    »Wohin fahren wir?«, frage ich im Airtrain. Wir sitzen zu dritt nebeneinander – Xander, ich und unser gelangweilt aussehender Funktionär, der noch ziemlich jung ist und die bestgebügelte Uniform trägt, die ich je gesehen habe.
    Der Funktionär antwortet: »Ihre Mahlzeiten wurden zu einem privaten Speisesaal geschickt. Dort werden wir zu Abend essen, und anschließend begleite ich Sie wieder nach Hause.« Er vermeidet direkten Blickkontakt und schaut stattdessen an uns vorbei zum Fenster hinaus. Was bezweckt er mit seinem Verhalten? Will er uns beruhigen oder beunruhigen? Bisher bewirkt er Letzteres.
    Ein privater Speisesaal? Ich werfe Xander einen kurzen Blick zu. Er zieht die Augenbrauen hoch und formt stumm die Worte: »Ist doch egal, oder?«, mit einem Wink zu dem Funktionär. Ich muss mir das Lachen verkneifen. Xander hat recht. Wozu die ganze Mühe, zu einem privaten Speisesaal zu fahren, wenn dieses Treffen alles andere als privat ist?
    Allmählich tun mir die anderen Paarungen leid, die ihre ersten Unterhaltungen unter der Aufsicht von Funktionären am Terminal führen müssen. Wenigstens konnten Xander und ich schon vorher zigmal in Ruhe miteinander reden.
    Der Speisesaal befindet sich in einem kleinen Gebäude eine Airtrain-Haltestelle weiter. Dort können Singles zum Essen gehen, aber auch unsere Eltern können nach Absprache dort ihre Abendmahlzeit einnehmen, wenn sie hin und wieder einmal ausgehen möchten.
    »Sieht nett aus«, bemerke ich, in dem mühsamen Versuch, ein Gespräch in Gang zu bringen, als wir uns dem Saal nähern. Der rote Backsteinkasten ist von einer kleinen Grünfläche umgeben, auf der ich ein Blumenbeet mit den allgegenwärtigen Neorosen und einer Art zarter Wildblume entdecke.
    Auf einmal kommt mir eine Erinnerung in den Sinn, so klar und deutlich, dass ich mich darüber wundere, warum ich schon so lange nicht mehr daran gedacht habe: Es war an einem Abend, als ich noch klein war und meine Eltern vom Ausgehen nach Hause kamen. Mein Großvater hatte auf Bram und mich aufgepasst, und ich hörte meine Eltern mit ihm reden. Dann ging mein Vater zu Bram ins Zimmer, und meine Mutter kam zu mir. Als sie sich über mich beugte, um mich richtig zuzudecken, fiel eine weiche, rosa-gelbe Blüte aus ihren Haaren. Rasch verbarg sie sie wieder hinter ihrem Ohr, und ich war zu müde, um sie zu fragen, woher sie sie hatte. Beim Einschlafen verfolgte mich dann der nebulöse Gedanke: Woher hat sie diese Blume, wo es doch verboten ist, welche zu pflücken? Doch ich vergaß diese Frage über meinen Träumen und habe sie nach dieser Nacht auch nie gestellt.
    Heute kenne ich die Antwort: Für die, die er liebt, beugt mein Vater manchmal die Regeln. Für meine Mutter. Für Großvater. Mein Vater ist ein bisschen wie Xander, der neulich Abend die Vorschriften missachtet hat, um Em zu helfen.
    Xander fasst mich am Arm und bringt mich zurück

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