Die Auswanderinnen (German Edition)
sie wolle ihn nie wieder sehen. Wir nahmen daher natürlich an, dass sich Dieter keine großen Sorgen machen würde, wenn sie ein paar Tage länger als geplant wegblieb. Jo Ann hat sie über eine Woche bei sich im Haus behalten, ihre Wunden gesäubert, sie so gut es ging versorgt und immer wieder mit Salben eingerieben. Die Kratzer im Gesicht konnten wir einigermaßen mit Schminke abdecken, nur die Verfärbungen um die Augen herum waren nicht so einfach zu verdecken. Und wir wussten nicht, ob sie innere Verletzungen hatte ...“
„Ich hatte keine Schmerzen“, warf Isabella ein.
„Doch nur, weil dir Jo Ann Tabletten gegeben hat. Das waren starke Schlaftabletten und zuletzt Schmerzmittel, ohne die du die Fahrt nach Sydney niemals durchgestanden hättest.“
„Das weiß ich alles gar nicht mehr.“
„Du warst ja auch halb betäubt, als wir losfuhren. Hast die meiste Zeit geschlafen.“
Steve unterbrach sie. „Warum hast du es Dieter denn nun nicht erzählt?“
„Na, das hatte einen guten Grund!“, sagte Isabella. „Wenn ich daran denke, kommt mir heute noch die Galle hoch. Ich konnte ihm überhaupt nichts erklären! Er hat mich nach meiner Rückkehr kaum beachtet, hat auch keine Fragen gestellt und sich nicht einmal darüber beschwert, dass ich ihn ausquartiert habe. Nach meiner Rückkehr von Lightning Ridge hatten wir getrennte Schlafzimmer.“
„Kein Wunder, dass du eine Therapie nötig hattest“, bemerkte Eva verständnisvoll.
„Ach, deshalb war ich doch gar nicht beim Therapeuten. Ich konnte jahrelang schlecht schlafen, das war der Grund.“
„Ich meine ja nur. Wenn dir jetzt noch die Galle hochkommt!“
„Findest du das nicht auch unverschämt? Wir haben in den darauffolgenden Wochen kaum noch ein Wort miteinander gewechselt, und dann hat er sich verdrückt. Tja, das hat am meisten in mir gegärt, dass ich nie begreifen konnte, warum er unsere Ehe einfach so hingeschmissen hat! Wegen eines läppischen Streites um die Lautstärke des Autoradios? Das kann es nicht gewesen sein, da bin ich mir sicher.“
„Dein Therapeut hat wohl auch vermutet, dass dies nur ein Vorwand war“, überlegte Steve.
„Ja, das war seine einzige vernünftige Schlussfolgerung. Er sagte, ich hätte eine dissoziative Amnesie.“
„Meine Güte, was ist denn das?“
„Ein hochtrabender Ausdruck, hinter dem er sein Unwissen verborgen hat.“
„Nein, im Ernst, was bedeutet das?“, beharrte Steve.
„Das bedeutet, dass ein äußerst beängstigendes, traumatisches Erlebnis zu Gedächtnislücken führen kann“, erklärte Isabella. „Damit lag er wohl gar nicht so falsch. Immerhin fehlen mit einige Stunden. Inzwischen wurde mir zwar gesagt, dass ich vergewaltigt wurde, nur weiß ich nach wie vor nicht, ob mir dieses Trauma wirklich diese verfluchte Gedächtnislücke beschert hat!“
„Ich fürchte, dass sich dein Erinnerungsvermögen an das auslösende Ereignis hinter einem Vorhang versteckt, den du vielleicht nie lüften kannst. Zumindest nicht hier und heute. Aber wir müssen uns nun wirklich überlegen, was wir mit Jo Ann machen sollen. Wenn ich alles richtig verstanden habe, will sie sich morgen selbst anzeigen.“
„Genau“, sagte Eva. „Wie können wir sie zurückhalten?“
Steve schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, überhaupt nicht. Vielleicht ist es auch besser so. Es bringt das Rad ins Rollen und, wer weiß, vielleicht rollt es ja in Richtung Wahrheit.“
„Oder wir werden von ihm überrollt“, sagte Isabella.
„Kann sein. Jedenfalls werden euch viele Fragen gestellt werden, die ihr ehrlich beantworten müsst.“
Eva schob ihre Hand in die seine, wie ein Kind, das sich an ein Elternteil klammert, wenn es über die Straße geht. „Ich hänge da mit drin. Macht dir dieser Gedanke nichts aus?“
Steve schüttelte den Kopf und er drückte dabei fest ihre Hand.
„Aber mir macht es etwas aus, verdammt noch mal“, brauste Isabella auf. „Jo Ann beruhigt sich selbst, indem sie eine großartige Geste macht, und wir werden ungefragt mit hineingezogen!“
„Sei still“, bat Eva.
„Wenn du nichts getan hast, musst du auch nichts befürchten.“ Steve griff nach der Speisekarte und begann sie zu studieren. „Ich bin auf jeden Fall für die Wahrheit. Und du willst doch sicher auch endlich die Wahrheit wissen, Isabella, oder?“
Sie nickte.
„Dann musst du auch zulassen, dass nach der Wahrheit geforscht wird.“
Isabella fragte leise, ob es dafür, nach all dieser langen Zeit denn
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