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Die Auswanderinnen (German Edition)

Die Auswanderinnen (German Edition)

Titel: Die Auswanderinnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: helga zeiner
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der Bar befand, benutzte, war sie schneller dort.
    Auf dem Rückweg nach unten passierte es dann! Kaum hatte Isabella den leeren Fahrstuhl betreten und auf den Stockwerkknopf gedrückt, machte der Lift einen kurzen heftigen Ruck, die Beleuchtung über ihr erlosch und nichts bewegte sich mehr. Die Türen blieben geschlossen, und Isabella stand, mit dem Rücken an die Kabinenwand gelehnt, in totaler Finsternis. Kein noch so schwaches Licht half ihr, sich zu orientieren.
    Undefinierbare Panik machte sich in ihr breit, sie bekam keine Luft mehr, konnte sich nicht bewegen, war eingeengt, hilflos und wehrlos. Ohne es wahrzunehmen, sackten ihre Beine wie unter einer zentnerschweren Last zusammen und sie glitt langsam an der Fahrstuhlwand hinab, bis sie auf dem Boden saß, die Arme um ihre angewinkelten Beine geschlungen, bebend und wimmernd.
    Mit einem Mal war sie wieder im Schacht .
     
     Kurt hatte ihr etwas zugerufen und sie hatte sich weit über das Einstiegsloch gebeugt, um ihn zu verstehen: „Bitte komm runter! Schnell, ich muss dir etwas zeigen. Ich brauche deine Hilfe.“ Mit wackeligen Knien war sie die Leiter hinuntergeklettert. Die Leiter war seitlich in der feuchten Erdschicht des engen Einstiegslochs verankert, und oben, am Rand, mehrfach abgesichert. Trotzdem hatte sie bei jedem Tritt gewankt, bedenklich gezittert, und überhaupt nicht zuverlässig ausgesehen, mit ihren schmalen Sprossen und der wackeligen Verstrebung. Und jetzt war sie also im Schacht! Je tiefer sie kletterte, umso kleiner wurde das Einstiegsloch über ihrem Kopf, trotzdem konnte sie das Ende der Leiter in der tiefen Dunkelheit noch immer nicht ausmachen. Es war ein Höllenschlund, den sie hinabstieg. Jedes Mal, wenn sie auf der verdammten Klapperleiter innehielt, um zu verschnaufen, stellte sie sich vor, dass die Röhre unendlich war und es kein Entkommen gab. Sie wollte wieder nach oben, aber eine Mischung aus Neugierde und Pflichtbewusstsein zwang sie, Kurts flehender Stimme zu gehorchen. Obwohl sie das Gefühl hatte, geradewegs in die Unterwelt hinunterzusteigen! Irgendwann tauchten plötzlich Kurts Umrisse auf, er hielt das Ende der Leiter fest, um sie zu stabilisieren, und Isabella atmete erleichtert auf. Sein Gesicht war im Schein einer Grubenlampe, deren Licht nicht einmal bis an die Lehmwände des Schachts drang, nur schwach zu erkennen.
    „Was gibt es denn zu sehen? Wobei soll ich dir helfen?“, fragte sie ihn, aber er ging überhaupt nicht auf ihre Fragen ein.
    „Wo sind Dieter und Uwe?“, herrschte er sie stattdessen an.
    Da begann sie ihm von dem vorangegangenen Streit zu erzählen, wobei sie ihre Rolle dabei unnötigerweise zu rechtfertigen versuchte. Aber Kurt war gar nicht weiter an ihrer Geschichte interessiert. „So, so, du bist also ganz alleine hier zu mir runtergekommen“, sagte er nur. Der Ton in seiner Stimme hätte sie warnen müssen. „Komm, ich zeige dir einen sensationellen Fund.“
    Er lockte sie in den Schacht, der als erster vom Hauptschacht abbog. Dort war die Decke so niedrig, dass sich gerade noch ein Mensch ihrer Größe aufgerichtet darin bewegen konnte. Kurt ging gebückt vor ihr her. Seine massigen Schultern nach vorne gebeugt und den Kopf tief auf die Brust drückt, schwang er die Taschenlampe gleichmäßig hin und her, um den Weg zu beleuchten. Isabella folgte ihm wie eine Marionette – es konnte nicht mehr weit sein, sie würde seinen Opalfund kurz bewundern und dann würde sie sich schnell wieder nach oben verdrücken, ins warme, sichere, helle Sonnenlicht.
    Doch an der nächsten Biegung drehte er sich plötzlich um und stürzte sich auf sie. Sie hatte nicht die geringste Chance.
    Es war widerlich. Er drückte sie mit seinem bulligen Körper gegen die glitschige Wand des Ganges, breitbeinig und mit ausgestreckten Armen. Sein ärmelloses T-Shirt war lehmverschmiert und klebte ihm schweißgetränkt auf der Haut. Der Gang war düster und die Luft roch moderig, faulig, nach altem Schweiß und der Ausdünstung neuer Körpersekrete.
    Isabella würgte, wehrte sich und schrie. Bäumte sich auf gegen ein Monster, das in der Dunkelheit sehen konnte, übermächtig stark war und von ihren hilflosen Bemühungen, ihm Widerstand zu leisten, immer erregter wurde. Sie schrie ihn an, fassungslos, wütend und voller Zorn. Was ihm einfiele, wie könne er es wagen, er solle an Johanna denken, sofort aufhören, sie loslassen, alles Mögliche kreischte sie, mit einer Stimme, die trotz aller Furcht und Empörung

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