Die Auswanderinnen (German Edition)
gedacht, dass ich ohne ihn gar nicht so schlecht zurechtkomme. Manches war zwar schwierig, schließlich hat man ja nur zwei Hände, aber es war so friedlich ohne ihn und seine ewigen Quälereien. Johanna, so darfst du das nicht machen! Johanna, so musst du das machen! Sogar heute könnte ich noch schreien, wenn ich nur daran denke. Und jetzt wollen sie ihn hier ausstellen, mitten im Ort. Weil sie nicht wissen, wessen Skelett es ist! Sollten sie jedoch herausfinden, dass es Kurts Überreste sind, werden sie ganz sicher keine Touristenattraktion aus ihm machen, sondern ...“ Sie brach ab, als sie an die Konsequenzen dachte. Stöhnend erhob sie sich und ging ins Bad, um sich das Gesicht zu waschen. Sie musste etwas essen, musste wieder zu Kräften kommen, bevor Eva und Isabella auftauchten. Aber sie brachte keinen Bissen hinunter. Es war, als wäre sie wieder in die gemeinsame Zeit mit Kurt zurückversetzt. Sie fühlte sich schlapp, jeder Energie beraubt und vergiftet von den gemeinen, widerlichen Dingen, die er ihr angetan hatte. Erschöpft legte sie sich aufs Sofa und versuchte sich zu entspannen. Nur eine Stunde ausruhen und an nichts denken.
Kapitel 22
Sydney, damals
Der erste Jahrestag ihrer Ankunft in Australien fiel auf einen Samstag. Die Männer trafen sich im Pub des Spofforth Centers, während die Frauen in Evas Wohnung alles für ein Picknick vorbereiteten. Im Pub gab jeder der Männer eine Runde eiskaltes englisches Ale aus, das in lächerlich kleinen Viertelliter-Gläsern serviert wurde.
„Immer wenn ich diese Gläser sehe, geht mir Bayern ab“, sinnierte Uwe. „Ich kann euch gar nicht sagen, wie sehr ich eine anständige Maß Bier vermisse!“ Er starrte gedankenverloren auf die schaumlose gelbe Brühe. „Mit einer richtig reschen Brezel und warmem Leberkäs, oder Weißwürsten mit süßem Senf. Ach ja!“, seufzte er sehnsuchtsvoll.
„Nun hab dich nicht so“, meinte Kurt. „Prost, Mann! Auf uns!“
Uwe und Dieter hoben ihre Gläser. „Auf uns!“
Mit geleerten Gläsern blieben sie an dem runden Bartisch stehen. Dieter zündete sich eine Zigarette an und gab Kurt Feuer.
„Wie läuft es denn so im neuen Job?“, erkundigte sich Kurt.
Uwe hatte endlich eine Stelle in einer Möbelschreinerei gefunden, in Dee Why, und musste nur noch eine halbe Stunde mit dem Bus fahren, um zur Arbeit zu kommen. Begeistert begann er davon zu erzählen, was er schon alles hergestellt hatte. Sein Chef schien bereits erkannt zu haben, welch zuverlässigen Fachmann er da eingestellt hatte, denn er übergab Uwe zunehmend kompliziertere Aufgaben und hielt mit Lob nicht zurück. Die Schreinerei war ordentlich geführt, aber Uwe sah bereits Verbesserungsmöglichkeiten. Mit der Zeit würde er sich unentbehrlich machen, und dann – ja, dann würde man mal sehen.
„Dann gibt’s mehr Geld!“, formulierte Kurt für ihn.
„Nein, das meinte ich nicht ...“, überlegte Uwe zögernd. „Ich möchte schon mehr Geld verdienen, aber das ist es nicht, worauf ich hinauswollte. Ich glaube, ich kann dem Betrieb weiterhelfen, mit meinem Wissen, meinen Fähigkeiten – ich wünschte, es wäre mein eigener. Na ja, erst mal fleißig arbeiten, der Rest wird sich dann schon ergeben.“
Dieter pflichtete ihm bei. „Ja, genau wie bei mir! Da ergibt sich auch alles. Letzte Woche hatte ich wieder einen Auftrag, den dritten schon. Und ich habe einige neue Anfragen auf dem Tisch. Wenn aus denen was wird, kann ich bald mehr verlangen.“
„War schon richtig, deine Frau in diese Werbeagentur zu schicken“, bestätigte ihm Kurt. „Meine Worte, schon immer! Den Weibern muss man sagen, wo’s langgeht, das ist gut für die Ehe.“
Das sah Dieter allerdings etwas anders, denn Isabella war unausstehlich, seitdem sie in der Agentur arbeitete. Aber egal, unter Männern durfte man ruhig einmal etwas auftrumpfen. „Ja, das hat mich allerdings verdammt viel Überzeugungsarbeit gekostet. Richtiggehend überreden musste ich sie dazu, aber jetzt ist sie ganz zufrieden damit. Sie muss natürlich noch viel lernen. Ich versuche sie auch zu motivieren, sich endlich bei einer größeren Agentur zu bewerben. Bei einer mit einem richtig guten Namen, das wäre für mich viel besser.“
„Gute Idee“, stimmten seine Freunde zu.
Sie unterhielten sich noch eine Weile über ihre Arbeit. Kurt war immer noch auf dem Bau und bei der gleichen Firma beschäftigt, aber er war inzwischen Vorarbeiter geworden. Seine Englischkenntnisse waren
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