Die Auswanderinnen (German Edition)
kann. Wovor sollte ich also Angst haben?“
Das Gespräch machte sie langsam wütend. John gab wohl nie auf. In letzter Zeit hatte er immer öfter versucht in ihre Intimsphäre einzudringen und sie spürte auch, dass sie ihre Barrieren ihm gegenüber langsam abbaute und ihm wohl dementsprechende Signale gegeben hatte. Sie würde sich in Zukunft besser vorsehen müssen. Aber heute hatte sie ihm doch wirklich keinen Anlass gegeben, mit diesem Thema anzufangen.
„Warum bist du dann noch immer alleine?“
„Ach, lass mich doch zufrieden!“ Jetzt war sie richtig ärgerlich und stand auf.
„Okay, vergiss es“, lenkte er ein. „Übrigens, haben sie das Skelett, von dem ich dir erzählt habe, jetzt nach Sydney gebracht. Zur forensischen Untersuchung.“
Jo Ann setzte sich wieder. Na also, endlich kam er zur Sache. „Und?“
„Nichts und. Sie werden wohl trotzdem nicht herausfinden, wer oder was dahintersteckt. Die Untersuchung wird nur unnötig großen Arbeitsaufwand für die armen überlasteten Landpolizisten mit sich bringen. Bill hat gesagt, dass sie, sobald sie wissen wie alt das Skelett ist – und der Todeszeitpunkt kann heutzutage ziemlich genau festgestellt werden – im ganzen Umland ermitteln werden, ob zu diesem Zeitpunkt ein Mensch verschwunden ist. Schön brav alle Akten durchforsten – wirklich ein fürchterlicher Aufwand. Und das Ganze nur, um am Ende herauszufinden, dass es wahrscheinlich ein Fremder gewesen ist. Einer, der sich die Claimgebühr sparen wollte, heimlich auf einem verlassenen Claim gebuddelt hat, und von niemandem vermisst wurde. Oder einer dieser Touristen, die auf der Suche nach einem großen Fund früher oft hier aufgetaucht sind und die Gefahren im Busch dabei völlig unterschätzt haben. So wird es bestimmt gewesen sein.“
„Da hast du Recht!“ Zumindest wusste Jo Ann nun mehr. Das Skelett – sie hasste diese unpersönliche Bezeichnung – war also in Sydney. Die Information beunruhigte sie, denn Kurts Tod war damals ganz bestimmt unter den Vermisstenanzeigen abgelegt worden. Noch schöpfte niemand Verdacht, aber sobald Bill das Alter der Knochen erfahren würde, würde er bestimmt zwei und zwei zusammenzählen. Das Mineralwasser schmeckte plötzlich irgendwie schal, dennoch hatte sie gut daran getan, zu John zu fahren, denn nur er konnte sie diesbezüglich mit den aktuellsten Nachrichten versorgen. Bill besuchte das Pub jede Woche auf seiner Tour durch das Umland und würde John bestimmt auch weiterhin über die neuesten Entwicklungen auf dem Laufenden halten.
Jo Ann wollte gerade fortfahren, ihn weiterhin auszufragen, als er ihr eine schockierende Neuigkeit mitteilte.
„Das Skelett soll sobald wie möglich hier in Lightning Ridge ausgestellt werden“, berichtete John so leise, als ob er befürchtete, dass sie belauscht werden könnten.
„Wie bitte?“ Jo Ann sah ihn entgeistert an. „Was sagst du da?“
„Im Museum. Wenn die Akte geschlossen ist und das Skelett hierher zurückgeschickt wird, kommt es ins Opalmuseum. Unter dem Motto: Der große unbekannte Opalsucher, der sein Leben für die Steine gab. Macht sich doch prima bei den Touristen.“
Jo Ann sprang auf und schlug mit ihrer Faust auf den Tresen. „Das ist doch hirnverbrannt! Wer denkt sich denn so etwas Verrücktes aus?“
„Wir alle. Gestern Abend. Du hättest dabei sein sollen, es war eine lustige Runde.“
„Ihr seid ja krank, alle miteinander. Ein Haufen besoffener Wahnsinniger. Das kommt niemals in Frage. Niemals, das sage ich dir.“
John sah ihr verblüfft nach, wie sie davon stürmte. Anders konnte er es nicht nennen. Sie rannte aus dem Raum ohne sich zu verabschieden, so aufgebracht, dass sie dabei einen Stuhl umstieß und diesen achtlos liegen ließ. „Das erlaube ich nicht!“, schrie sie dabei. „Ich verbiete es euch!“ Dann schlug sie die Tür so heftig hinter sich zu, dass die Scheiben in den Fenstern klirrten. John glaubte sogar die Dachbalken zittern zu sehen, zumindest schwankten die Lampen, wenn auch nur vom Luftzug, leicht hin und her.
John war völlig irritiert und fragte sich, was sie denn eigentlich verbieten wollte, wo es doch nur um einen Haufen alter Knochen ging. Und vor allem, wem sie etwas verbieten wollte? Die Knochen gehörten doch niemandem.
Jo Ann war viel zu aufgeregt, um sofort losfahren zu können. Zudem konnte sie ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Es waren Tränen der Wut und der Hilflosigkeit, die sie über lange Jahre hinweg
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