Die Babysammlerin (Contoli-Heinzgen-Krimi)
Druckschrift ihr Name und die Anschrift der Zeitungsredaktion standen. Anke hielt das Päckchen mit wiegenden Bewegungen in den Händen und musterte es.
„ Ein Schuhkarton. Ich tippe auf Größe zweiundvierzig.“
Wolf sah ihr mit seinem typischen Grinsen zu, wobei die Enden seines Schnauzers durch die sich ausbreitenden Falten rechts und links daneben hochgezogen wurden. Anke strahlte ihn an, sie liebte dieses Grinsen. Es ließ seine braunen Augen hinter den großen Brillengläsern zu schelmischen Schlitzen werden.
Wie eine weihnachtliche Porzellankugel trug sie das Päckchen zum Schreibtisch in der anderen Hälfte des großen Wohnraumes, die Wolf zu seinem Privatbüro eingerichtet hatte. Mit der Schere trennte sie die umgewickelte Schnur und entfaltete das Papier, als wolle sie es nochmals verwenden.
„ Ich habe recht gehabt, ein Schuhkarton Größe, na?“, sie wendete den Karton, sah auf den kleinen weißen Aufkleber, „nee, vierundvierzig.“
„ Anke, ich weiß nicht recht, wart mal ...!“
Doch Anke hatte den Karton schon gelüftet.
„Aaaaaaaaaaaaaaaaa!“
Angewidert ließ sie Deckel und Karton fallen, der standfest auf den Boden landete. Wolf war sofort an ihrer Seite und bestarrte die fette, tote, blutbeschmierte Ratte darin, aufgebahrt in glanzvollem weihnachtlichen Goldpapier.
Anke schrie noch immer. Wolf bückte sich. Hecktisch griff er den Deckel und stülpte ihn wieder über den Karton, nahm das Ganze, rannte die Treppe hinunter, riss die Haustür auf und ließ Karton samt Ratte in die Tonne für Restmüll plumpsen. Als er zurückkam, lehnte Anke mit geröteten Wangen aufrecht am Schreibtisch. Ihre grünen Augen funkelten wie die einer Katze in erhöhter Alarmbereitschaft.
„ Da fühlt sich wohl jemand auf den Schlips getreten“, presste sie durch die Lippen.
„ Doch zu weit aus dem Fenster gelehnt“, erwiderte Wolf ruhig, aber in seiner Stimme lag ein vorwurfsvoller Ton.
„ Wirklich prompte Reaktion“, meinte Anke jetzt schon forscher. „Ich habe in meinem Artikel vor zwei Tagen über den Thelema Orden und die Church of Satan berichtet, außerdem einige Ausschnitte aus unseren Kladden gebracht.“
Unvermittelt stieg ihnen beißender Qualm in die Nase.
„Scheiße! Die Rebhühner!“
Sie stürmten in die Küche. Anke riss das Fenster auf und Wolf die Backofentür. Beide beugten sich anschließend davor nieder und versuchten in dem schwarzen Rauch die Rebhühner auszumachen. Wolf drehte den Herdschalter aus. Anke ließ sich auf einen Stuhl fallen. Er blieb am Herd stehen und verschränkte die Arme abwehrend vor der Brust.
„Frohe Weihnachten.“
„ Ebenso.“
Verschwörerisch ballte Anke die rechte Faust und stocherte damit in der Luft herum.
„Die können mich mal. Ich lass mich doch von denen nicht an meinem Job hindern. Während meiner Recherchen hab ich über E-Mail mit einem Sektenexperten verkehrt. Dieser hatte mir schon angekündigt, dass so etwas passieren könnte, aber auch gemeint, es würde sich dann wahrscheinlich nur um fanatische Einzeltäter handeln.“
„ Es ist nicht unbedingt dein Job, über satanische Gruppierungen oder wie man es nennen soll, zu schreiben. Warum bleibst du nicht bei deinen stinknormalen Kriminalfällen?“
Anke hob den Kopf und sah Wolf unter ihren gesenkten Augenwimpern an. Er meinte es tatsächlich ernst. Sie erkannte es an seiner zusammengezogenen Stirn, obwohl dichte Haarsträhnen darüber fielen.
„Fanatische Einzeltäter“, wiederholte Wolf zweifelnd. „Was immer sie auch sind, sie wollen dich davon abhalten, Weiteres in dem Bereich zu unternehmen. Wie ernst sollen wir sie nehmen? Wenn ich da an den Satanistenmord denke.“
„ Satanistenmorde hat es immer schon gegeben. Bedenke nur Charles Manson 1969, da war ich grad vier Jahre alt, und seine rituelle Tötung von acht Menschen in Kalifornien. Unter ihnen die Schauspielerin Sharon Tate, Polanskis Ehefrau und hochschwanger. Dabei soll, wie ich bei meiner Recherche herausgefunden habe, Roman Polanski selbst ein Besucher der Curch of Satan gewesen sein. Wusstest du eigentlich, dass in dem Polanskifilm Rosemaries Baby die Rolle des Teufels kein geringerer als Anton Sandoz LaVey höchstpersönlich gespielt hat?“
Wolf stöhnte auf. Anke fuhr ungerührt fort.
„Aber wir brauchen gar nicht so weit zurückzugehen. Im April 93 hatten wir die Ermordung des fünfzehnjährigen Sandro Beyer durch Satansanhänger in Sondershausen, Thüringen. Im selben Jahr starben in Vietnam
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