Die Babysammlerin (Contoli-Heinzgen-Krimi)
nackt, alleine? Sie sah sich um. Die Kerzen waren nahezu abgebrannt. Bald würde es stockfinster sein. Ihr Blick fiel auf eine niedrige Ablage. Kerzen, dachte sie, vielleicht liegen da ja Kerzen. Sie hatte richtig vermutet. Immerhin würde sie nicht im Dunkeln ausharren müssen. Mit zitternden Händen wechselte sie die Kerzen aus und lief anschließend umher, wobei sie sich mit leichten Schlägen gegen ihren Körper aufwärmte, so gut es möglich war.
Sie wusste nicht, wie lange sie so umhergewandert war, als sie ein Geräusch hörte. Eine Tür? Sofort stand sie starr mit gekreuzten Armen über ihrer Brust und ging langsam rückwärts, bis sie mit dem Rücken an der Wand anstieß. Wartete. Er war es. Sie vernahm seine dumpfen Schritte auf der Treppe. Mama, flüstere sie, Mama, bitte hilf mir oder Satan, auch das, wenn es in Ordnung ist. Ich will alles tun, damit ich deiner würdig bin, aber hilf mir jetzt.
Schwaches Licht flackerte von oben herunter. Der Guru erschien mit einer Kerze, die er gleich auf dem Boden abstellte. Er blieb vor ihr stehen und sah sie von oben herab an. „Cara, du hast lange geschlafen.“
Sein freundlicher Singsang-Ton ließ Cara noch mehr frieren. Sie nickte unsicher. Er löste aus seinen Armen ein Gewand, das er in ihr, wobei er ihr sehr nahe kam, um die Schultern legte. Sie spürte seine Lippen in ihrem Nacken. Er flüsterte in ihr Ohr. „Schon bald wirst du beweisen, ob du des Satans Gunst würdig bist.“ Nach den eindringlichen Worten schlang er das Gewand um ihren Körper und schob sie sanft zur Treppe.
Als Cara wieder im Zimmer erschien, blickte Nora sie mit verklärten Augen an. Auf die Schnelle verlangte Cara nach den Keksen. Sie musste sich betäuben wie ihre Mutter. Das Grauenhafte mit einem würzigen Rausch verjagen. Simeon saß im Schneidersitz auf der Matratze. Er hielt in der einen Hand ein Whiskyglas und blätterte mit der anderen in einer vor ihm aufgeschlagen liegenden zerfledderten Broschüre, die ihm die Lehre des Satanismus zum hundertsten Mal vergegenwärtigte. Ohne aufzusehen, fragte er barsch: „Hast du etwas erfahren?“
Cara schüttelte den Kopf. Als er keine Antwort vernahm, stellte er sein Whiskyglas ab und erhob sich und schritt mit verschränkten Armen vor ihr auf und ab.
„Warum nicht!? Warum nicht, du verdammtes Biest, wenn du schon die ganze Nacht bei ihm bist.“
„ Was, was sollte sie denn herausbekommen“, fragte Nora. Simeon warf ihr einen vernichtenden Blick zu.
„ Halt die Klappe und versorg dich, damit du aufgeräumt bist.“
Er wandte sich wieder Cara zu.
„Verstehst du nicht, du dumme Göre! Wir sind hier gefangen! Ich hab es satt, hier unnütz meine Zeit zu verschwenden. Wir sind hier nur geduldet.“
Nora wagte noch einen Versuch. „Warum gehen wir nicht zurück?“
„Zurück? Nach Berlin? Wo vielleicht die Bullen warten? Nein, ich will den Laden hier übernehmen und wehe, du sagst ein Wort, dann gibt es dich nicht mehr, hast du verstanden!“
Nora fiel in sich zusammen. Cara fragte sich, warum sie noch lebte.
„Erinnerst du dich“, sie wollte ’Vater’ sagen, aber es gelang ihr nicht und sie schwieg.
„ Woran soll ich mich erinnern?“, wollte Simeon dann doch wissen.
„ Der Guru ...“, ihre Stimme brach.
„ Und, was ist mit dem Guru?“
Cara wandte ihr Gesicht ab, denn Hitze durchströmte sie. Für einen Moment hatte sie nämlich glatt vergessen, dass sie ja mit keinem Menschen darüber sprechen durfte. Und darunter fielen auch ihre Eltern. Sie hatte sagen wollen, dass der Guru der dunkle Mann aus ihrer Kindheit war. Jetzt würde es für immer ihr Geheimnis bleiben. Sie wandte Simeon ihr Gesicht wieder zu und sagte mit fester Stimme:
„Schon bald soll ich zum ersten Mal meine Aufgabe erledigen.“
Beide Elternteile sahen sie fragend an.
„Ich weiß noch nicht, was es ist.“
Simeon zuckte die Schultern, dann schüttelte er den Kopf und Cara dachte, dass er ihn bald wieder rasieren müsste.
„Dieser Guru, wie immer er auch heißt, muss weg“, fauchte Simeon unvermittelt. „Ich bin der, der dazu auserwählt wurde, unsere Glaubensgemeinschaft zu führen, und ich werde es tun. So sicher, wie es Satan gibt.“
22
Achte auf deine Gedanken,
sie sind der Anfang deiner Tagen
(Chinesische Weisheit)
In einer Seitenstraße des Kurfürstendamms wartete Anke auf ihren Berliner Kollegen. Sie hatte das kleine Bistro extra früher aufgesucht, um Zeit zu gewinnen und sich etwas zu besinnen. Der Streit
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