Die Babysammlerin (Contoli-Heinzgen-Krimi)
Taschen die Box mit den Öltüchern hervor und säuberte den kleinen Körper sorgfältig. Anschließend hob sie die Glasscheibe eines der Behälter und legte sie vorsichtig daneben, griff sich den nackten Körper und tauchte das Baby in die Formaldehydlösung, wobei etwas davon überschwappte. Sie deckte wieder die Glasscheibe darüber. Mit der Innenseite einer Windel wischte sie den Boden trocken. Sie brauchte dringend Abfallsäcke, registrierte sie und deponierte die Windel und die Kleidung des Babys zusammengerollt in die Ecke. Nachdem sie das erledigt hatte, lehnte sie sich an die Wand und starrte mit rasendem Herzen auf den winzigen schwimmenden Körper in seinem Glasgefängnis. Sie schluckte schwer. Es drang in ihr Bewusstsein, dass sie zum ersten Mal in Ausübung ihrer Aufgabe gescheitert war, versagt hatte. „Das nächste Mal machst du es richtig“, drohte eine Stimme in ihr.
„Ja“, antwortete Carola laut. „Ich verspreche es.“
20
Beklage dich nicht über etwas, wenn du dich nicht unterwerfen willst .
(Satanisches Gesetzt)
Der Fernseher in der Redaktion zeigte zum wiederholten Male eine Großaufnahme des entführten Babys. Anke starrte auf den Bildschirm. Seit fast zwei Wochen war das Kind verschwunden und niemand hatte sich bisher wegen einer Lösegeldforderung gemeldet. Gestern hatte Dietrich Hauff sie angerufen und erklärt, dass die Polizei nun an die Öffentlichkeit gehe und sie ihren Artikel starten könne. Nun zappte sie an ihrem PC zwischen ihrem Sektenartikel und dem Babyartikel hin und her. Der Sektenbericht sollte eigentlich der Letzte sein. Jedoch nach der massiven Drohung gegen sie sah auch Trenk ein, dass ein Einstellen zum jetzigen Zeitpunkt den Anschein erweckte, sie würde aus Angst kneifen und sich fügen. Also hatten sie entschlossen, nach diesem noch zwei weitere hinterher zu schicken. Jedoch gelang ihr diesbezüglich keine rechte Konzentration. Die Babysache nahm sie völlig in Anspruch. Anke berichtete in ihrem Artikel, neben dem ein Foto des Babys platziert war, das für Anke wie alle Babys aussah, über den mutmaßlichen Hergang der Entführung. Spekulierte, ob eine verhinderte Mutter vielleicht die Täterin sein könnte und sich mit dem Kind irgendwo versteckt hielt. Den Tatort hatte sie sich vorher genau angesehen und ein Foto geschossen. Für Sekunden hatte sie sich dabei gewundert, weil ganz in der Nähe dieser Leon mit seiner Sektenfreundin wohnte. Sie hatte an Caras Sprung in den Rhein an Weiberfastnacht gedacht und daran, wie sie vor der Einfahrt des Hauses mit Hauffs auf Wolf gewartet hatte. Anke zog hörbar die Luft ein und zwirbelte eine Haarsträhne. Wieso nur verspürte sie so ein sonderbar dunkles Gefühl? Ein Gefühl, dass etwas nicht stimmte, aber sie nicht greifen konnte.
Das Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelte. Sie schwenkte mit dem Stuhl nach rechts, um abzunehmen. Ein Sonnenstrahl traf sie durch das Fenster ins Gesicht. Der April hatte zwar gerade erst begonnen, aber schon hielt er sich beharrlich im gekonnten Wechsel zwischen Regen und Sonne. Der ehemalige Kollege, jetzt in Berlin tätig, meldete sich am anderen Ende der Leitung.
„ Ich habe das Haus gefunden“, legte er sofort los, „aber keine Bewohner in Sichtweite. Die Nachbarn sagen, seit gut zwei Jahren scheinen dort nur hin und wieder Leute ein und aus zu gehen.“
„ Mist“, fluchte Anke. „Dann müsste man sich direkt für eine Weile auf die Lauer legen. Wo sind denn all die Mitglieder abgeblieben?“
„ Keine Ahnung. Nach der Flucht des Anführers hat sich die Gruppe wohl langsam aufgelöst. Keine Führung, also auch keine Disziplin mehr“, lachte der Kollege.
„ Kannst du dich weiter umhören?“ fragte Anke energisch. „Irgendwann, bald, in nächster Zeit komme ich nach Berlin.“
„ Mach ich, bis dann, Arbeit ruft.“
Anke legte etwas missgelaunt auf. Sie hatte sich mehr versprochen, aber sie musste selbst einsteigen. Wie hieß es so schön, ’wer nach einer hilfreichen Hand Ausschau halten will, findet sie am besten am Ende des eigenen Arms’. Anke lächelte. An dem Spruch war was dran.
Gegen sieben Uhr saß sie beim Lieblingsitaliener und wartete seit einer halben Stunde auf Wolf. Er war sonst immer pünktlich. Der Prosecco war aufgetrunken, ihr Magen knurrte, und auch ihr Allgemeinbefinden ließ heute zu wünschen übrig. Ihr Handy hatte sich schon vor einer Stunde mit leerer Batterie verabschiedet. Sie überlegte, ob sie an den Tresen zum
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